Erstmals Stolpersteinverlegung

24 Stolpersteine für sieben Familien an sieben Orten - 20 Nachfahren vor Ort


Fotos: Gudrun Schmidl

11.07.2019 / BEBRA - Lange hat die Stadt Bebra um eine wertschätzende Gedenkkultur gerungen. Es gibt zwei Gedenktafeln am Rathausplatz und jährliche Gedenkveranstaltungen zu den Novemberpogromen. Aber Stolpersteine zu verlegen war lange kein Thema, weil aus unterschiedlichen Gründen nicht gewünscht, erläutert Bürgermeister Uwe Hassl, der erleichtert ist, dass heute der politische Beschluss der Stadtverordnetenversammlung mit einer ersten Verlegung von Stolpersteinen umgesetzt wurde.  



„Es war schon immer eine Herzensangelegenheit von mir“, beteuert Hassl und versichert dem anwesenden Künstler Gunter Demnig, der seit über 20 Jahren sein Leben diesem Projekt widmet: „Wir in Bebra sind stolz, jetzt auch Teil ihres großartigen, weltumspannenden Kunstprojektes zu sein, das wie kein zweites die Menschen bewegt, in deren Städten und Dörfern jüdisches Leben, aber auch das von Minderheiten, ausgelöscht wurde. Mit dem Projekt Stolpersteine haben sie einen beispiellosen Anstoß für eine Kultur des Gedenkens und des Erinnerns gegeben“.  

Gunter Demnig verlegte für sieben Familien an sieben Orten in der Eisenbahnerstadt Messingtafeln in den Gehweg vor dem letzten Wohnsitz. Sie sollen an jüdische Bebraner erinnern, die während der NS-Zeit gedemütigt, entrechtet und ermordet oder zur Flucht gezwungen worden sind. Uwe Hassl dankte Dr. Heinrich Nuhn, der es durch seine historische Aufarbeitung und akribisches Arbeiten möglich gemacht hat, diese Stolpersteine zu verlegen. Es ist nur der Auftakt: Dr. Heinrich Nuhn, Kurator des Jüdischen Museums in Rotenburg, hat Informationen zu mindestens drei Dutzend weiteren Opfern zusammengetragen, die in der Bebra gelebt und gewirkt haben. 33 zusätzliche Steine seien bereits in der näheren Planung, kündigte Uli Rathmann an. Sein Fachbereich Generationen ist die Schnittstelle zwischen der Verwaltung und der Bürgerinitiative "Zukunft für Bebra", die bei der Planung federführend ist.

Die feierliche Zeremonie zur Stolpersteinverlegung begann in der Apothekenstraße 10, wo das Haus von Betty und Samuel Levi stand, das abgerissen wurde. Enkeltochter Yael Suesskind-Keller bedauert den Abriss und sagt: „Die heute installierten Stolpersteine werden das einzige Zeugnis davon sein, wer hier gelebt hat und was mit ihnen passiert ist“. Die zweite Verlegestelle war vor dem Haus Nürnberger Straße 36. Hier wird an Mathilde Oppenheim und ihren Ehemann, den damals 74-jährigen Schuhhändler Willy Oppenheim erinnert, der Älteste aus der Bebraer Opfergruppe.

Schülerinnen und Schüler der zehnten Klasse der Brüder-Grimm-Gesamtschule haben gemeinsam mit ihrer Lehrerin Marlies Ertner viel zum Thema recherchiert und vor Ort die Biografien der Opfer gelesen. So auch vor den Häusern Nürnberger Straße 26 und 18, das Familie Abraham bewohnte. Guy Grobler, der Urenkel von Salomon Abraham, tauchte tief in die Familienbiografie ein und betonte: „Für die Abrahams war Deutschland ihre Heimat, die Nation, die sie liebten, der sie dienten. Sie waren so stolz, Teil der deutschen Kultur zu sein. Diese Nation verfolgte und ermordete sie. Bis heute halte ich es für unmöglich, das Böse zu begreifen, das geschehen ist“. Sein Urgroßvater nahm sich das Leben, zwei Tage bevor er aus Bebra deportiert werden sollte. Er wählte die „Flucht in den Tod“, wie auf seinem Stolperstein zu lesen ist. „Durch das heutige Verlegen der Steine sagt Bebra den Abrahams: wir erinnern uns“. Mit diesen Worten beendete Guy Grobler seinen Redebeitrag, der unter die Haut ging.

Uwe Hassel betonte in seiner Ansprache vorab: „Ich weiß, wie viel ihnen das bedeutet. Wir können nur erahnen, mit welchen Emotionen sie jetzt hier zu kämpfen haben. Wir verneigen uns tief vor den zu Ehrenden und Ihnen als direkte Nachfahren“. Etwa 20 Nachfahren der jüdischen Opfer nahmen weite Anreisen auf sich, um an der Verlegung teilzunehmen, die von der in Blankenheim aufgewachsenen Klarinettistin Kerstin Röhn aus Kaufungen musikalisch einfühlsam begleitet wurde.

Nach der abschließenden Verlegung der Stolpersteine am Lindenplatz 8, An der Bebra 1 und der Pfarrstraße 21 lud die Stadt Bebra die Teilnehmenden zu einem Stehempfang ins „Moseberg´s“ ein. Die Worte von Gerhard Schneider-Rose, Sprecher der Bürgerinitiative „Zukunft für Bebra“, hallen nach: „Wir verlegen Stolpersteine, weil wir uns dafür verantwortlich fühlen, dass dies nie wieder passiert. Weder Deutschland noch andere Länder sind dagegen immunisiert, dass solche Formen der systematischen Gewalt gegen Minderheiten sich wiederholen. Wir erleben heute leider in vielen Ländern massive Vorbehalte gegen Fremde, geschlossene Grenzen, den Wunsch nach Mauern. Die Idee von Blut und Rasse treibt erschreckende Blüten. Nicht jeder Fremdenhass führt zur fürchterlichen Ausrottungsmaschinerie der Nazis. Aber jeder Schritt in die Richtung enttabuisiert die nächsten Hemmschwellen – diese Lehre haben wir aus den Verfolgungen im Dritten Reich gezogen. (Gudrun Schmidl) +++

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