Literaturgottesdienst zur Festspielzeit
Kafkas "Der Prozess" im Mittelpunkt - Lesung, einfühlsame Musik und Predigt
Fotos: Gudrun Schmidl
09.07.2019 / BAD HERSFELD -
Weit mehr Besucher als erwartet folgten am Sonntagabend der Einladung von Pfarrerin Imke Leipold zum Literaturgottesdienst in der Bad Hersfelder Stadtkirche. Viele fleißige Hände stellten weitere Stühle im Chorraum des Gotteshauses auf, wo „eine gesegnete Stunde vor Gott“ mit Lesung, einfühlsamer Musik und Predigt gefeiert wurde. „Jedes Jahr laden die Festspielstücke auf besondere Weise ein, in den Gottesdiensten und Predigten Gedanken zu den Stücken zu entwickeln“, betont Imke Leipold. Im Mittelpunkt stand gestern mit „Der Prozess“ Weltliteratur aus der Feder von Franz Kafka, mit dem die Bad Hersfelder Festspiele in diesem Sommer eröffnet wurden.
So wie es Josef K. geschieht, der Hauptperson des Buches „Der Prozess“. Jemand muss Josef K. verleumdet haben. Wer dieser jemand ist, bleibt unbeantwortet. Er wird verhaftet, ist sich verständlicherweise keiner Schuld bewusst. Was folgt, ist der Verzweiflungskampf eines unbekannten Einzelnen gegen einen ebenfalls unbekannten Gerichtshof. Die erfahrenen Leser Sönke Völker und Herbert Janßen aus Bad Hersfeld und Fabian Metz aus Bielefeld lasen ausgewählte Passagen aus dem Buch, so dass auch Zuhörer, die noch nie das Buch gelesen haben, den Inhalt nachvollziehen konnten.
„Die Parallelen zwischen Josef K. und Hiob sind deutlich: Beide fühlen sich grundlos einer Gerichtsmacht ausgeliefert. Beide stehen sie allein da, niemand unterstützt sie. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied: Kafkas Figur Josef K. kennt sein Gegenüber nicht. Bei Kafka wird der Alptraum Wirklichkeit, Josef K. stirbt, sein Tod führt zu keiner Versöhnung oder Auflösung. Hiob hingegen kennt sein Gegenüber. Mit seinem Gott kann er deshalb zürnen, hadern, ja ihn anklagen“, vermittelt Imke Leipold. Sie verweist auf den höchsten Feiertag der Protestanten, der Karfreitag. Ein gott-loser Tag, Tag der blanken Gesetzlosigkeit, der Willkür. Jesus schreit und klagt wie Hiob und erhält keine Antwort. Gott meldet sich nicht. „Die Unsichtbarkeit Gottes macht uns kaputt“, hat Dietrich Bonhoeffer einmal geschrieben.
Bereits am Sonntagmorgen wurde in der Wippershainer Kirche dieser Literaturgottesdienst gefeiert. Am Sonntag, 21. Juli, wird zu einem zweiten Literaturgottesdienst um 18 Uhr in die Stadtkirche in Bad Hersfeld eingeladen. Dann steht Nick Hornbys „A Long Way Down“ im Mittelpunkt. Die Literaturgottesdienste zur Festspielzeit wollen als Einstimmung auch Interesse für die Festspielstücke wecken oder bereits Gesehenes vertiefen. (Gudrun Schmidl) +++