Einzeltäter oder Terrorzelle?

Neonazi Stephan E. (45) soll den Regierungspräsidenten hingerichtet haben

Der ermordete Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke (li.) und der mutmaßliche Mörder Stephan E. (damals 29) auf einer Wahlkampfkundgebung der NPD.
Foto: ON-Archiv / /exif-recherche.org/www.schuetzenclub-sandershausen.de

18.06.2019 / KASSEL - Der Neonazi und mehrfach vorbestrafte Schichtarbeiter Stephan E. (45) aus Kassel soll CDU-Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke (65) regelrecht hingerichtet haben. Der CDU-Politiker wurde Anfang Juni nachts auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen-Istha (Nordhessen) aus nächster Nähe mit einem Kopfschuss getötet.


Fast zwei Wochen tappten die Ermittler im Dunklen. Am letzten Wochenende dann die entscheidende Wende, die zur Festnahme führte. Das SEK hat das Haus des Familienvaters E., der mit Frau und zwei Kindern im Stadtteil Forstfeld wohnt, gestürmt. Der 45-Jährige wurde fixiert und abgeführt. Er sitzt seitdem in der JVA Kassel I.

Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen übernommen und spricht von einem "politischen Motiv". Der "Modus operandi", so sagt ein hochrangiger Sicherheitsexperte dem Tagesspiegel, erinnere an den NSU. Die Terrorzelle hatte ihre Opfer mit gezielten Kopfschüssen ermordet. Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos töteten allerdings keine Politiker, sondern neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft sowie eine Polizistin. Ein Opfer starb in Kassel.

Der Lübcke-Mord gewinnt immer mehr an Brisanz, denn Stephan E. werden enge Kontakte in die rechtsradikale Szene nachgesagt. So soll er mit dem Anführer der rechtsextremistischen Gruppierung "Combat 18" (C 18) in Kassel bekannt sein. Erinnerungen an die Terrorzelle werden wach. Lübcke war zu Lebzeiten immer wieder wegen seiner toleranten Haltung zu Flüchtlingen bedroht worden. Er hatte sich 2015 auf einer Informationsveranstaltung gegen Schmährufe gewehrt und gesagt, wer gewisse Werte des Zusammenlebens nicht teile, könne das Land verlassen.

Linken-Abgeordnete Wissler: "Sieht nach einer NSU-Nachahmer-Tat aus!"

Landtagsabgeordnete Janine Wissler vertrat Die Linke im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss. Sie ist derzeit gefragter Interviewpartner in nationalen Medien und sagt im ZDF: "Den Fall Lübcke muss man sehr, sehr ernst nehmen, weil es nach einer NSU-Nachahmer-Tat aussieht." Sie weiß über das Vorstrafenregister von E.: "Er ist mehrfach aufgefallen, durch ein Rohrbomben-Attentat, einen Messerangriff auf einen Migranten, einen Überfall mit weiteren Neonazis auf eine Gewerkschaftseinrichtung." Zudem habe er im Internet Hassbotschaften verbreitet. Im Zuge der Straftaten landete sein genetischer Fingerabdruck in der Polizeidatenbank und führte die Ermittler der 'Soko Liemecke' schließlich zu ihm.

Ist er ein Einzeltäter oder steckt hinter dem Mord an Walter Lübcke ein Neonazi-Netzwerk? Bisher hat die Bundesanwaltschaft dafür noch keine Beweise. "Wir haben in Nordhessen Strukturen. Das war ein wichtiges Thema im Untersuchungsausschuss", erklärt Wissler und geht noch einen Schritt weiter: "Dabei war Stephan E. bereits aufgefallen. Wir hatten 2015 explizit nach ihm beim Landesamt für Verfassungsschutz gefragt, was sie über diesen Mann wissen. Eine Antwort haben wir nicht bekommen."

In den Vernehmungen schweigt Stephan E. bisher. Die Ermittlungen gehen weiter. (Christian P. Stadtfeld) +++

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