In der Münsterfeldhalle
Der Pop-Papst und die gescheiterte Palastrevolte: Vatikan-Experten klären auf
Fotos: Martin Engel
26.02.2019 / FULDA - Inzwischen ist es gute Tradition, dass Vatikan-Experte Andreas Englisch in Fulda aus dem goldenen Nähkästchen plaudert: Was gibt es Neues vom Papst der Armen, warum hat die Palastrevolte gegen die finstere Kurie immer noch nicht geklappt – und was hat das alles mit Liebe und Barmherzigkeit zu tun? In diesem Jahr erhielt er Unterstützung von Vatikan-Diplomat Norbert Hofmann.
Was war das für eine Aufregung, als Jorge Mario Bergoglio zu Beginn seiner Amtszeit verkündete, er wolle fürderhin im Gästehaus residieren und den apostolischen Palast nur für offizielle Termine nutzen. Nach Armenspeisungen und Verzicht aufs Papamobil war klar: Dieser Papst ist anders. Bereits die Namenswahl war von Kirchenstaats-Kennern als Kampfansage an die Kurie gedeutet worden: Eine Theologie der Armen und Rechtlosen, eine dienende Kirche und vielleicht sogar eine Aufarbeitung der schattigeren Seiten der jüngsten Vergangenheit, das versprachen sich viele Gläubige von Franziskus – genau wie die Medien. "Papa Pop" brachte eine Musik-CD heraus, erschien auf dem Cover von "Rolling Stone" und wirkte vor allem im Kontrast zum vermeintlich verknöcherten päpstlichen Hofstaat als geradezu jugendlicher Hoffnungsträger, mit inzwischen 82 Jahren. Nach beinahe sechs Jahren Amtszeit wurde aus der Reform der Kirche eine "Reform der Herzen", zur jüngsten Missbrauchskonferenz enttäuschte Franziskus vor allem Opfervertreter mit halbherzigen Absichtsbekundungen.
Vatikan-Experte Andreas Englisch geht als Journalist seit 1987 in den Palästen des römischen Stadtstaats ein und aus und hat das Alltagsleben dreier Päpste kennengelernt. Der glühende Franziskus-Verehrer bemühte sich am Montagabend in der Münsterfeldhalle wie in den Vorjahren redlich, den Normalsterblichen im Publikum nahezubringen, was für ein unerhörter Spaß und Skandal das doch sei, wenn der Pontifex im Kirchenstaat mit kindlicher Unschuld agiert und die Hofschranzen ächzen, weil dabei mal wieder der Heiligenschein im Gästehaus liegen geblieben ist. Was man mit so viel frischem Wind alles machen könnte – wenn, siehe oben, die böse Kurie nicht wäre. Neu in diesem Jahr: Mit Vatikan-Diplomat Norbert Hofmann war ein leibhaftiger Vertreter dieser Kurie anwesend, der sich auch gleich als Franziskus-Fan outete, was die Kritik in überschaubarem Rahmen hielt.
Während Englisch so launige Anekdoten aus der Pontifex-Entourage zum Besten gab, bemühte sich Hofmann um den theologischen Unterbau, ebenfalls in Anekdotenform. Dieser Jorge Mario Bergoglio sei wahrlich ein Kind des Zweiten Vatikanischen Konzils, die Erklärung "Nostra aetate" habe er Wirklichkeit werden lassen: Zur Beförderung des interreligiösen Dialogs verordne der Stellvertreter Christi auf Erden Delegationsmitgliedern schon mal brasilianischen Schnaps, Hofmann habe er im Scherz gar zum "Chief Rabbi of the Vatican" erklärt und grüße diesen seitdem huldvoll mit "Shalom" aus dem abgespeckten Papamobil. Was für ein unerhörter Spaß. Ebenfalls neu in diesem Jahr: Murren im Publikum angesichts des süffisant vorgetragenen Personenkults um den Papst zum Anfassen. Zu präsent schien die enttäuschende Missbrauchskonferenz, um mit Pontifex-Schabernack die Wogen glätten zu können.
Die Publikumsfragen drehten sich dementsprechend zum großen Teil ums Thema Missbrauch: Englisch gab zu bedenken, dass der Papst die Konferenz auch hätte sein lassen können – oder darauf hinweisen, dass 67 Prozent des sexuellen Missbrauchs in der Familie stattfinde. Mäßiger Applaus. Auch Hofmann, dem der Zölibat nach eigenen Aussagen dank sportlicher Betätigung und intensiver Frauenfreundschaften (ohne Sex) bisher noch nicht geschadet hat, fand mit seinem Einwurf, Pädophilie sei noch nicht lange als großes Problem erkannt worden, die Grünen hätten vor wenigen Jahrzehnten noch Sex mit Kindern gefordert, nur wenig Freunde. Im weitgehend ergrauten Stammpublikum raunte darob gar der Begriff "Relativismus".
Europa solle sich dennoch nicht leichtfertig vom christlichen Erbe verabschieden, so Englisch, denn: "Ohne Kirchenmusik gäbe es Michael Jackson nicht. Nehmen Sie im Stadtbild alles weg, was christlich ist. Dann bleiben ein paar Supermärkte über. Aber wollen wir das wirklich?" So erbaut und gestärkt konnten die Besucher ermutigt in den Alltag zurückkehren. (Marius Auth) +++