50 Jahre Lebensgemeinschaft (3)

Zu Besuch bei einer Großfamilie: Wo gemeinsam ein Zuhause gestaltet wird

Mittagszeit im Ita Wegman Haus auf dem Richthof: Die Tafel füllt sich.
Fotos: Stefanie Harth / Lebensgemeinschaft

16.10.2018 / SCHLITZ - Mittagszeit im Ita Wegman Haus: Die Tafel füllt sich. 17 Familienmitglieder nehmen am meterlangen, aus massivem Holz gefertigten Esszimmertisch Platz. Es gibt Salzkartoffeln mit Eiersoße und Blattsalat. Als Dessert werden Zwetschgenknödel mit Semmelbrösel und zerlassener Butter gereicht. „Das erinnert mich an meine Kindheit“, sagt Monika Weber. Rico Weißbach stimmt den Tischspruch an. Alle reichen sich die Hände. Der Kreis schließt sich.



Seit Sommer 2009 sind Rico und Luisa Weißbach die Hauseltern im ehemaligen Schloss Richthof, das Anfang des 19. Jahrhunderts als Sommerresidenz der Grafen von Schlitz errichtet und 1977 von der Lebensgemeinschaft erworben wurde. „Unser jüngstes Familienmitglied ist fünf Jahre alt, unser ältestes zählt 75 Lenze“, berichtet das Ehepaar. Mit ihren drei Söhnen Laurin (11), Jonathan (7) und Gero (5) sind sie Teil der Dorfgemeinschaft.

Für die aus Chemnitz stammenden Eheleute – beide sind ausgebildete Heilpädagogen – ist es ein tiefgreifender Entschluss gewesen, die Hauselternschaft zu übernehmen. „Mein ganzes Leben findet hier statt – das muss man wollen“, meint Luisa Weißbach. „Wir sind im Bereich der Sozialtherapie tätig, leben im Haus gemeinsam mit zehn Menschen mit intellektueller Behinderung, die wir zusammen mit unseren beiden Praktikanten versorgen, und organisieren mit Unterstützung unserer Haushaltshilfen die Hauswirtschaft.“

Das Arbeiten in der Lebensgemeinschaft sei nicht nur eine Frage des Berufs. „Hier ergreift mich das ‚Hier-Arbeiten‘ und ‚Hier-Leben‘ ganz“, betont Luisa Weißbach. „Das ist der Lebens- und Berufsort, an dem ich sein will und den ich gestalten möchte.“

Als Weißbachs vor neun Jahren die Hauselternschaft übernahmen, sei die Familie bereits da gewesen. „Wir mussten zu jedem Familienmitglied einen Zugang finden“, erläutert das Ehepaar. Das Zusammenleben müsse gemeinsam erübt, entwickelt und gestaltet werden. „Dazu zählen beispielsweise Gespräche und eine Atmosphäre, die von Verständnis, Rücksichtnahme und gegenseitiger Hilfestellung geprägt ist – sprich: eine Atmosphäre, in der man sich Zuhause fühlt.“

Viel geben die „Dörfler“ – trotz einer gewissen Naivität – ihren Hauseltern zurück: Die Ehrlichkeit, Offenheit und liebevolle Herzlichkeit, die Weißbachs gegenüber zum Ausdruck gebracht werden, seien „phänomenal“. Weißbachs Söhne leben mit größter Selbstverständlichkeit auf dem Richthof. „Einer unserer Söhne, der hier hineingeboren wurde, hat nach einem Besuch bei einer ‚normalen Familie‘ verwundert festgestellt: ‚Mama, bei denen wohnen ja gar keine ‚Dörfler‘?!‘“, resümiert Luisa Weißbach.

Zusammen leben, zusammen arbeiten und zusammen Kultur erleben und gestalten“ ist die Philosophie der Lebensgemeinschaft e.V., die 1968 und 1977 die beiden Dorfgemeinschaften Sassen und Richthof aus der Taufe gehoben hat und sich auf ein anthroposophisches Menschenbild gründet. Zwei Gemeinwesen sind entstanden, in denen seit nunmehr fünfzig beziehungsweise 41 Jahren soziale Formen gefunden, geübt, gepflegt und weitergebildet werden, in denen sich alle geborgen fühlen können. Mehr Infos: https://lebensgemeinschaft.de/. (Stefanie Harth) +++

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