Mit Nostalgie durchs Streutal
Mit 40 km/h im Rhön-Zügle unterwegs - Museumsfest noch h e u t e
Fotos: Barbara Enders
26.08.2018 / FLADUNGEN -
„Warten Sie mit der Abfahrt, bis ich mein Auto geparkt habe?“, fragt eine Dame den netten Schaffner in Mellrichstadt am Gleis 110. „Natürlich“, ist die zuvorkommende Antwort von Michael Dohrmann. Wenn der Zug auch mal auf den Fahrgast wartet, kann das keine gewöhnliche Bahnverbindung sein und dass es in Mellrichstadt in der Rhön tatsächlich 110 Bahngleise gibt, glaubt auch kein Mensch. Stimmt, aber dieser spezielle Bahnsteig hat tatsächlich die Nummer 110 und hier halten ausschließlich die Züge der Fladunger Museumsbahn, dem sogenannten Rhön-Zügle.
Beliebt sind die Fahrten durchs Streutal von Fladungen nach Mellrichstadt und zurück nicht nur bei Eisenbahnfreunden, der Hauptteil der Fahrgäste besteht sogar aus Familien mit Kindern, die voller Begeisterung die farbenprächtigen Loks bewundern und das teils antike Interieur der Wagen. Wenn diese dann noch von einer alten Dampflok gezogen werden, ist die Freude besonders groß.
„Es kam auch schon einmal vor, dass wir so viele Fahrgäste hatten, dass einige keinen Sitzplatz bekamen und die ganze Fahrt stehen mussten“, erinnert sich Schaffner Dohrmann, der seit etwa einem Jahr aktiv Dienste auf dem Rhön-Zügle leistet. Im normalen Leben ist er der Leiter des Biosphären-Infozentrums in Oberelsbach, lebt in Mellrichstadt und ist Mitglied im Verein Rhön-Zügle e. V., das im Auftrag des Freilandmuseums Fladungen die Fahrten durchs Streutal durchführt. Es ist also sein Hobby, als Schaffner auf dem Rhön-Zügle zu fahren, allerdings hatte er es bisher noch nie geschafft, in der Lok selber mitzufahren.
„Sie können gerne mal hier vorne in der Lok mitfahren“, macht Philipp Hoffmann das verlockende Angebot an die Reporterin. Er ist heute Lokführer und Zugführer in einer Person. Normalerweise bekommt der Zugführer vom Schaffner das Signal, dass alle Fahrgäste eingestiegen und die Türen verriegelt sind und gibt dann dem Lokführer den Befehl zur Abfahrt. „Die Zugführer sind die eigentlichen Chefs des Zuges“, erklärt Schaffner Dohrmann verschmitzt lächelnd, „auch wenn ich es mir jetzt mit den Lokführern verscherze“.
„Ich gebe mir heute selber den Befehl zur Abfahrt“, erklärt der junge Mann aus Stadtlengsfeld, als er vom Schaffner das Zeichen bekommt. Wichtig ist deshalb immer der Blick aus dem Fenster der Lok in Richtung der Wagen und des Bahnsteiges. An einem heißen Sommertag allerdings auch sehr angenehm, denn im Laufe des Betriebstages kann es in der Kabine des Lokführers bis zu 60 Grad heiß werden. „Wir haben hier gar kein Thermometer aufgehängt“, grinst er, um sich dann pflichtbewusst dem großen Fahrzeug zu widmen.
Andreaskreuz am Straßenrand
Das Schild mit dem großen „P“ steht für Pfeife und hier gibt der Lokführer eben mit der Pfeife einen kurzen Warnpfiff ab. Das ist immer vor Querungen der Fall. Zudem gibt es eine explizite Geschwindigkeitsvorgabe, die akkurat eingehalten wird. An kreuzenden Straßen hält die Bahn sogar an, wartet einige Sekunden, um dann nach eingehender Sichtkontrolle die Straße zu queren. Doch nicht immer kann Lokführer Hoffmann dann auch fahren.
Dort wo die Schienen zwischen Stockheim und Mellrichstadt die B 285 kreuzen, ist eigentlich ein vorbildlicher Bahnübergang mit Andreaskreuz, Schranke und Lichtsignalanlage eingerichtet. „Der Übergang ist total tot“, erklärt Hoffmann seine umsichtige Fahrweise und hat kaum nach dem langsamen Losfahren schon wieder die Bremse betätigt. Ein Auto kommt auf der Straße, die auch als Zubringer zur Autobahn A 71 dient, mit unverminderter Geschwindigkeit auf den Übergang zugefahren, ohne sich um den wartenden Zug zu kümmern.
„Hier steckt mehr dahinter“
Dennoch tut er gerne Dienst hier auf der Museumsbahn. Nicht um den Zuverdienst, denn der Einsatz auf der Lok ist ehrenamtlich. „Hier steckt mehr dahinter beim Fahren“, erklärt Philipp Hoffmann. Er ist im richtigen Leben nämlich auch Lokführer, aber da ist sehr vieles automatisiert und hier bei den alten Fahrzeugen „muss man noch richtig Hand anlegen“. Derzeit macht Hoffmann den Führerschein für die Dampflok, im September tritt er zur Prüfung an und darf nach dem Bestehen endlich selber diesen Fahrzeugtyp bedienen. Der Weg zum Dampflokführer ist ein anstrengender, die Ausbildung beginnt als Heizer, um den Anwärtern den Betrieb einer solchen Lok von der Pike auf zu vermitteln.
In Fladungen lagert vor einem Nebengebäude des Bahnhofes ein großer Haufen Kohle, der in der Sommersonne speckig glänzt. Hier wird der Nachschub für die Dampfloks gebunkert.
Dampf oder Diesel
„Eine Fahrt mit der Dampflok ist für die Fahrgäste die attraktivere“, weiß Hoffmann aus Erfahrung, „da stehen die Leute schon oft an den Schienen und winken. Die großen Rauch- und Dampfwolken, die eine Dampflok bei der Fahrt ausstößt, lassen nostalgische Gefühle aufkommen, sowas kennt man heute fast nur noch aus dem Film. Zudem ist die Kulisse des Streutales ein wunderbares Ambiente für die alten Loks und Wagen, von denen einige über 100 Jahre auf dem Buckel haben.
Derzeit sind im Besitz des Vereines drei Dampfloks, von denen normalerweise zwei einsatzbereit sind, zurzeit nur eine. Dazu kommen zwei Dieselloks und zwölf Wagen, von denen einige noch in Würzburg stehen. Alle anderen Fahrzeuge sind in den großen Hallen auf dem Fladunger Bahnhofsgelände untergebracht.
Werner Heil, den wir im Juni bei einer Fahrt mit der Dampflok trafen, arbeitet hier in seiner Freizeit als Zugführer. Er ist ein Vereinsmitglied der allerersten Stunde, als der Verein noch am Main residierte. Heil reist immer für das ganze Wochenende an, ist mit Leib und Seele Zugführer und weiß viel Interessantes zum Thema Bahn zu berichten, das er den Fahrgästen gerne mitteilt. Geduldig lässt er sich in fescher Uniform vor dem Zug oder Bahnhofsschildern ablichten.
Erlebnis mit allen Sinnen
Derweil passiert der Zug Stockheim, die großen Linden vor dem Bahnhofsgebäude rauschen im Fahrtwind, die aufgescheuchte Gänseherde ein paar Meter weiter erinnert an „Piroschka“ in Ungarn! Bei Dampfbetrieb ist sogar eine feuchte Erfrischung inklusive, denn wer sich auf eine der kleinen Plattformen zwischen den Wagen begibt, bekommt immer mal Tröpfchen vom Wasserdampf ab, deshalb ist hier der Boden auch stets etwas feucht.
Schienenumstellung mit dem Weichenschlüssel
Bei Ankunft in Mellrichstadt steigen die Fahrgäste erst einmal aus, die meisten fahren wieder mit zurück nach Fladungen, andere steigen hier zu. Die knapp 45 Minuten dauernde Fahrt war keine Minute langweilig, mit einer Maximalgeschwindigkeit von 40 Kilometern pro Stunde braust die kleine Bahn durchs Streutal, wobei die Lok sogar 45 km/h schnell fahren könnte, doch auf der Strecke sind nicht mehr erlaubt.
Jemand zugestiegen?
Der Schaffner begibt sich wieder auf seine Tour durch die Wagen und verkauft Fahrkarten. Um die Mittagszeit wird es langsam heiß im idyllischen Streutal, für die Fahrgäste im Sommerwagen ist es eine angenehme Fahrt, auch die bald 29 Grad Außentemperatur bei Ankunft in Fladungen wird kaum als so warm empfunden, führt die Strecke doch über schattige Abschnitte entlang der Streu. Zurück in Fladungen beginnt das Umsetzen der Lok von neuem, denn in einer Stunde startet sie wieder Richtung Mellrichstadt.