Orientierungslos durch die Nacht
Die unglaubliche Geschichte von Munir Tekleyes
Fotos (3): Jonas Wenzel (Yowe)
26.07.2018 / EBERSBURG -
Sie wollen einfach nur fort. Mitten in der Nacht setzen Munir, Natnael, Jemal, Solomon und Abel ihren Entschluss in die Tat um. In Frankfurt schleichen sich die jungen Fußballer aus ihren Hotelzimmern. Ihr Ziel? Sie haben keines. Sie wollen einfach nur weg. Stundenlang irren sie durch den dunklen Wald. Schlafen zwischen Bäumen, Laub und Moos. Die Angst ist ihr ständiger Begleiter. Acht Jahre ist diese Geschichte nun her.
In der Hauptrolle: Munir Tekleyes, Natnael Weldetnsae, Jemal Kassa, Solomon Haile Negussie und Abel Mehari. Die fünf Jugendlichen im Alter zwischen zwölf und 14 Jahren sind Juniorennationalspieler ihres Heimatlandes Eritrea. In der norwegischen Hauptstadt Oslo nehmen sie im Juli 2010 an einem Turnier teil. Zu diesem Zeitpunkt wissen die fünf Jungs, dass sie nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren werden – und ihre Familien für eine lange Zeit nicht mehr sehen werden.
Ein Jahr später wird der damals 14-Jährige erneut für die Junioren nominiert und trifft dort auf Natnael Weldetnsae, Jemal Kassa, Solomon Negussie und Abel Mehari. Für die fünf Jungs kommt die Gelegenheit, das Land zu verlassen im Juli 2010. Die Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa bringt sie dazu, ein waghalsiges Risiko einzugehen. Auf dem Rückflug von Oslo macht die Auswahl Eritreas Halt in einem Hotel in Frankfurt. Jetzt oder nie – die fünf Talente hauen ab. Mitten in der Nacht.
„Er hat an unseren Medaillen erkannt, dass wir Fußballer sind und uns erst einmal zu sich genommen“, erzählt Tekleyes. Danach gehen die Jungs zum Jugendamt. „Wir wurden gefragt, ob wir wirklich hierbleiben oder doch zurückwollen. Wir haben aber gesagt, dass wir hier zusammenbleiben wollen – egal wo“, führt der heute 22-Jährige aus. Die fünf Jungs aus Eritrea kommen zunächst nach Maberzell ins Kinderheim. Über die Fuldaer Domschule kommt schließlich der Kontakt zu lokalen Vereinen zustande.
Munir, Natnael, Jemal, Solomon und Abel trainieren zunächst beim Haimbacher SV mit, ehe sie für die SG Viktoria Bronnzell ihre Schuhe schnüren. Ihr Talent fällt auf, und ihre Karriere im regionalen Raum nimmt an Fahrt auf. Jemal und Abel schaffen es sogar in den Nachwuchs des 1.FC Kaiserslautern, Munir und Natnael springen über den JFV Viktoria Fulda in die Herren-Mannschaften des TSV Lehnerz und Solomon kickt seit dieser Saison in der Gruppenliga für die Spvgg. Hosenfeld.
„Es war wirklich eine schwere Zeit, aber ich bereue es nicht“, sagt Munir rückblickend. Das sportliche Ziel, weiter für Eritrea zu spielen, haben Munir, Natnael, Jemal, Abel und Solomon vor acht Jahren gefährdet. „Wenn jemand abhaut, ist die Chance gering, noch einmal in der Nationalmannschaft zu spielen“, sagt Tekleyes zwar, aber er ergänzt: „Wir haben unregelmäßigen Kontakt mit dem Verband. Vielleicht nehmen sie unsere Entschuldigung an. Wir haben noch Hoffnung, für unsere Nation zu spielen - und das ist unser Traum.“ Vor acht Jahren zogen die Jungs aus, um eine andere, eine viel größere Chance zu bekommen. Die Chance auf ein besseres Leben. (Tobias Herrling) +++