16. Kinder- und Jugendtheater-Woche
Sommernachtsträumer spielen "KlassenFeind" bei den Kleinen Festspielen
Fotos: Gudrun Schmidl
06.06.2018 / BAD HERSFELD -
Vier rebellierende Schüler namens Fetzer (Jan Frederik Saure), Vollmond (Meret Semsch), Pickel (Christopher Seban) und Koloss (Anthony Isaak) warten in einem verrammelten Klassenraum auf einen neuen Lehrer, den sie genau so fertig machen wollen wie seine Vorgänger. Es kommt aber nur ein Mitschüler, der aus dem Knast zurück ist. Im Original ist dieser ein Schwarzer (Nigger), der in den deutschen Fassungen als Türke (Kanake) charakterisiert ist und Kebab genannt wird. Kebab spielen sie vor, wie sie die letzte Lehrerin „kaputt gemacht haben“.
Koloss ereifert sich in seinem „Unterricht“ über Ausländer, Knoblauchfresser, Hottentotten, die eindeutig schuld sind, dass Menschen wie er keine Jobs bekommen. „Das ist ein Scheiß-Pack, am schlimmsten aber sind die Scheiß-Sozialarbeiter“, lässt Koloss seiner Wut weiter freien Lauf. „Was soll ich euch beibringen“, fragt schließlich Kebab in die Runde, der in der Grundschule erstmals und dann immer wieder als „Kanake“ beleidigt wurde. Seine Sprachlosigkeit und seine verlorene Würde kompensiert er seitdem mit Scheibeneinwerfen. Vollmond überrascht mit einem denkbar alltäglichen Thema, der fachgerechten, kostengünstigen Zubereitung von Frikadellen, in denen fast kein Fleisch drin ist. „Die Zutaten wie alte trockene Brötchen und Zwiebeln als Grundzutaten bekommen wir bei der Tafel gegen Vorlage des Berechtigungsscheines. Hack kaufen wir im Sonderangebot“, erklärt sie den Mitschülern.
Die Sprache auf der Bühne ist dreckig, authentisch und direkt, reichlich bestückt mit fäkalen Wortergüssen. Hass, Ohnmacht, Spott, Wut, Angst, die ständig zunehmende Aggressivität untereinander werden ausdrucksstark herausgeschrien, es wird geflucht und letztendlich auch geprügelt. Fetzer gibt zum Schluss eine Lektion im Straßenkampf mit Tricks und unbarmherziger Härte, bis schließlich er und Vollmond aufeinander losgehen und sich die Fressen blutig polieren. Zum Schluss bricht Fetzer zusammen, seine raue Schale bröckelt. Wie alle anderen auch ist er in seinem Innersten auf der Suche nach Anerkennung, nach Zuwendung und Liebe. Langsam aber sicher begreifen alle fünf Jugendlichen, dass sie die Welt da draußen abgeschrieben hat. Kein Lehrer wird sie weiter unterrichten – alle haben sie aufgegeben. Sie warten weiter bei offener Tür – vergeblich.
Fünfundsiebzig Minuten fantastisches Theater mit starken Szenen, gespielt von herausragenden Protagonisten auf der Bühne, fesselte das junge Publikum am Dienstagmorgen sichtlich. Die enorme schauspielerische Leistung von Jan Frederik Saure, Christopher Seban, Lennart Fink, Anthony Isaak und vor allem Meret Semsch, die erstmals auf einer Bühne stand, honorierten sie unverständlicherweise nur mit spärlichem Applaus. Nicht zu vergessen Joachim Götz-Leyendeckers, der als Lehrer und Klassen Feind die Jugendlichen vor vollendete Tatsachen stellte. Die Kleinen Festspiele der Stadtjugendpflege im Fachbereich Generationen punkten noch heute und morgen mit vier weiteren interessanten Stücken für alle Altersklassen, die allesamt ausverkauft sind. Edgar Steube, im letzten Jahr als Fachbereichsleiter Generationen in den Ruhestand verabschiedet, hat auch in diesem Jahr die Organisation und Leitung der Kleinen Festspiele übernommen und freut sich über volles Haus bei allen Veranstaltungen, das bedeutet über 1200 verkaufte Eintrittskarten. Dabei haben "Nachwuchsgruppen" neben den Profis stets die Möglichkeit, ihre Stücke und Ideen zu präsentieren. (Gudrun Schmidl) +++