NACHGEDACHT 271

Auf die Plätze, fertig,...Sonntagsgedanken von Christina Lander


Foto: Privat

20.05.2018 / REGION - Aktuell finden Sie wieder allerorts statt: die Bundesjugendspiele. Für Sportmuffel ist es immer ein Graus, für die talentierten Schülerinnen und Schüler aber ein Tag des Adrenalins und meist der Freude. Eine Disziplin begeistert mich noch heute, es ist der 800 Meter Lauf. Er wird tatsächlich oft unterschätzt, nicht zuletzt, weil eine Vielzahl an Jugendlichen denkt, dass man so einfach einmal drei bis vier Minuten ohne Training durchhält.



Früher bin ich selbst sehr regelmäßig  800 Meter gelaufen, weil ich wie meine Schwester Leichtathletin war. Ehrlich gesagt war mir immer vor dem Lauf mulmig zumute. Ich wusste, dass ich weit unter drei Minuten laufen musste, um zu den Hessischen Meisterschaften zu dürfen. Als ich dieses Ziel dann erreichte und im Staffellauf endlich meine Bestzeit erreicht hatte, gab ich den Sport auf, weil ich diesen Druck nicht mehr wollte. Aber dennoch ist mir diese Zeit in mein Gedächtnis gebrannt, dieser Lauf ist für mich eine Metapher geworden.

Bereits der Tag und die Stunden vor dem Lauf waren pure Aufregung. Nicht zu viel essen, am besten Nudeln. Der Lauf schwebte wie ein Damoklesschwert über mir. Dann fertig machen, Schuhe an, klapprige Knie. Aber, wenn der Startschuss fiel, spürte man, wie der Körper Adrenalin in die Muskeln drückte, die erste Runde wurde zum Positionieren genutzt, dann – nach 500 Metern – begann die Kehle langsam trocken zu werden, die Beine wurden schwerer, Gedanken wie „Warum tust du dir so etwas an?“ schossen durch den Kopf. Bei den letzten 150 Metern kam aber die drängende Stimme, die rief: „Schneller! Jetzt noch einmal alles geben!“

Der Abschlussspurt ließ die Beinmuskeln fremdgesteuert im Takt des Applauses marschieren, die Arme bewegten sich gleich einem magnetischen Punkt zum Ziel hin. Hinter der Ziellinie vollkommene Kraftlosigkeit, bloß nicht hinlegen, stehen bleiben, aber der Körper sackte in sich zusammen und alles, was durch den Körper strömte, war Glück, pures Glück, dass man es geschafft hatte. Nicht selten lösten sich Freudentränen, die die Anstrengung und den Druck verblassen ließen.

Dieser Lauf ist deswegen zur Metapher geworden, weil man ihn mit Anstrengungen, Hürden oder Kämpfen in unserem Leben gleich setzen kann. Wir müssen uns manchmal genauso anstrengen, dass es uns weh tut, dass es uns beinahe unserer letzten Kräfte beraubt. Und wir erreichen auch das Ziel, müde und weinerlich, aber dennoch glücklich, es geschafft zu haben. Aber wir sollten auch manchmal wissen, wann wir den 800 Meter Lauf nicht laufen sollten. Denn nicht jeder Lauf, nicht jeder Kampf, nicht jede Herausforderung bringt uns so zum Ziel, dass wir Freudentränen weinen können. Manchmal wissen wir erst später, dass es zu viel war.

Aber eines weiß ich auch noch: dass sich der müde Körper, auch wenn man im Moment nach dem Lauf niemals daran denkt, sich wieder erholt hat. Manchmal sogar schneller als gedacht. (CHRISTINA LANDER) +++

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