Zweiter Prozesstag im Fall Bohnacker
Zugedröhnt mit Crystal Meth und LSD: "Ich wollte dieses Mädchen haben"
Fotos: Luisa Diegel
10.05.2018 / BOBENHAUSEN / GIESSEN -
Mit gesenktem Kopf wird Rick J. um neun Uhr im Landgericht Gießen in den Saal geführt. Die Handschellen werden ihm abgenommen, er steht im Blitzlichtgewitter. Ihm wirft die Anklage vor, die achtjährige Johanna Bohnacker im Jahr 1999 entführt und anschließend getötet zu haben. Die Anklage lautet auf Mord, sexuellen Missbrauch und Vergewaltigung eines Kindes mit Todesfolge sowie Besitz kinderpornografischer Schriften. Beim zweiten Prozesstag am Mittwochmorgen sagt der Angeklagte vollumfänglich aus und nimmt zum ersten Mal Stellung zum Tag der Tat und den Abend davor.
"Ich war am Abend vor der Tat mit einem Freund bis in die Nacht feiern. Im Anschluss sind wir zu einem Bekannten von meinem Freund in den Raum Nidda gefahren, um Drogen zu besorgen", fing Rick J. an zu berichten. Morgens sei er dann alleine wieder zu sich nach Hause aufgebrochen. Dort nahm er die Droge Crystal Meth zu sich. "Mehr kann ich zu dem Vormittag nicht sagen." Am frühen Nachmittag ging der Drogenkonsum weiter: eine Dosis LSD und noch eine "Nase Crystal Meth", danach sei der Angeklagte losgefahren. Dabei sei ihm dann der Gedanke gekommen, ein Verbrechen zu begehen.
Nach einem Auffahrunfall gegen drei Uhr nachmittags sei er ziellos durch die Gegend gefahren. Dann sah er auf dem Radweg, der sich unter der Landstraße befand, die damals achtjährige Johanna. "Ich habe sie für 13, 14 Jahre alt gehalten." Durch die Drogen sei sein Trieb angeregt worden. "Die Geilheit kam über mich, ich wollte dieses Mädchen haben." Mit seinem VW-Jetta sei er auf den Radweg gefahren und stand wenige Meter hinter dem Mädchen, die am nahegelegenen Wasser in der Hocke spielte. 40 bis 60 Milliliter Chloroform habe er sich dann auf seinen Sweatshirt-Ärmel gegeben, sich dem Mädchen von hinten genähert, ihr seinen Arm vors Gesicht gedrückt und Johanna damit betäubt. Rückwärts habe er sie dann in seinen Kofferraum gezerrt und mit einem Spannseil die Arme zusammengebunden. Dann sei er wieder ins Auto gestiegen.
Bei Einbruch der Dämmerung habe er einen Ort gefunden, wo er Johanna rauslassen wollte. "Das müsste Schotten oder ein Ortsteil davon gewesen sein." An einem Waldparkplatz habe er gehalten, den Kofferraum geöffnet, um Johanna rauszuheben. "Sie hat nicht reagiert. Das hat mich geschockt, ich hätte nicht gedacht, dass etwas Ernsthaftes passieren kann." Er habe Arme und Puls gefühlt, "die Hautoberfläche war unglaublich kühl. Ich habe Fäkaliengeruch wahrgenommen, das war für mich ein sicheres Zeichen, dass sie tot ist." Völlig panisch sei er vor dem Kofferraum gestanden. "Ich musste die Leiche loswerden, deshalb bin ich weiter Richtung Norden gefahren und habe im Vogelsberg eine einsame Gegend gesucht." In einem Waldstück habe er gehalten, Johanna über die Schulter genommen und sie 60 bis 80 Meter vom Auto entfernt mit dem Gesicht nach unten abgelegt. Wenig später entdeckte er in seinem Kofferraum einen blauen Gummistiefel, den er auf der Rückfahrt an einem Rastplatz an der A5 in den Müll warf. Gegen neun Uhr abends sei er zuhause gewesen, seine damalige Freundin sei dann zu Besuch kommen.
Staatsanwalt Thomas Hauburger und Richterin Regine Enders-Kunze bemängelten die Aussagen des Angeklagten: „Ich glaube Ihnen kein Wort. Ihre Aussage heute weicht deutlich von der gegenüber der Polizei ab." Der Angeklagte konnte sich diese Diskrepanz nur so erklären: "Als ich damals vernommen wurde war ich zwei Tage wach und zugedröhnt mit Extasy. 18 Jahre lang hat mir niemand diese Fragen gestellt, und ich musste nicht antworten. Jetzt hatte ich ein halbes Jahr Zeit, um darüber nachzudenken und mir alles, so gut es geht, ins Gedächnis zu rufen." Beispielsweise hatte Rick J. bei seiner Polizeiaussage gesagt, dass er, als er losfuhr, das Chloroform mitgenommen hatte, um es zu verwenden. Bei Gericht sagte er, dass er das Betäubungsmittel bereits im Auto hatte. Auch die Aussage, dass das braune Paketband in der Tankstelle gekauft wurde, sei falsch. "In der Tankstelle gibt es nämlich gar kein Klebeband zu kaufen", so Staatsanwalt Hauburger.
"In Ihrer letzten Aussage haben Sie außerdem gesagt 'Nachdem ich jetzt soweit gekommen bin, will ich auch etwas davon haben'", verwies die Richterin. "Ich bin erstaunt, was Sie hier abliefern. In Ihrer Polizeiaussage haben Sie gesagt, dass Sie einen Ort gesucht haben, wo man jemanden vergewaltigen kann", so Hauburger. Nach einer kurzen Pause und einem Gespräch mit seinem Verteidiger gab Rick J. diese Aussage schließlich zu.
Doch auch noch viele weitere Widersprüche werden die Richterin und den Staatsanwalt in den nächsten Verhandlungstagen beschäftigen. Die Aussagen über das verwendete Klebeband stimmen genauso wenig zusammen, wie die Beschreibung des Angeklagten bezüglich seiner Kleidung. "Nach Zeugenaussagen trugen Sie ein graues T-Shirt und kein Sweatshirt." Auch die Frage, ob Rick J. mit den Fesselungen seinen sexuellen Fantasien nachgehen wollte, muss noch geklärt werden. (Luisa Diegel) +++