Zahlreiche Besucher

"Wir und die Anderen": Sehenswerte Doppelausstellung im Fuldaer Kunstverein

"Wir und die Anderen" heißt die derzeitige Doppelausstellung im Fuldaer Kunstverein.
Fotos: Erich Gutberlet

08.05.2018 / FULDA - Sonne, 28 Grad. Die Türen weit geöffnet. Und so viele Besucher in den neuen Räumen des Fuldaer Kunstvereins in der Habsburgergasse. Heraus klang "Zigeuner-Jazz" der Fünfziger Jahre. Mit Musik im Stil Stéphane Grapellis und Django Reinhardts eröffnete das Trio "Gadzo Swing" eine Ausstellung mit Fotografien und Skulpturen.



"Die Anderen", so der Ausstellungstitel, sind die phantastischen Wesen des Bildhauers Alexander Litwinow, geboren in Kasachstan und seit 25 Jahren mit eigenem Atelier in Petersberg tätig. "Anders" waren aber auch die lebenden Menschen am unteren Ende der sozialen Leiter, die der mehrfach ausgezeichnete Fotograf und Spezialist für audiovisuelle Großprojekte, Wolfgang Schreier (Dortmund), 1967 als neunzehnjähriger Druckerlehrling in der Fuldaer Obdachlosen-Siedlung „Sandhohle“ aufnahm - nun wiederentdeckt auf herausragenden Beispielen künstlerischer Reportage-Fotografie.



"Reinhardt", der Name einer weit verzweigten Sinto-Familie, fiel noch öfter in den Gesprächen an diesem sonnigen Sonntag. Berta Reinhardt, eine Respektsperson in der Barackensiedlung am westlichen Stadtrand, war am 23. März 1943 zusammen mit 90 Fuldaer Sinti nach Auschwitz deportiert worden. Als eine der wenigen Überlebenden floh sie kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs von einem Evakuierungsmarsch und lebte noch mehrere Nachkriegsjahre lang in den städtischen Wohnblocks, die Anfang der Siebziger die Notbehausungen ersetzten. Nun hängt ihr Porträt am Eingang der Galerie, und mehrere ihrer Nachkommen waren unter den Gästen der Vernissage und erkannten die Großmutter, Urgroßmutter, Tante, den Bruder und so manche, die das NS-„Zigeunerlager“ nicht überlebten.



In seiner Laudatio auf den Bildhauer Litwinow hob sein Künstlerkollege Werner Döppner das überraschende Zusammenspiel der geheimnisvoll-bizarren, stumm attackierenden aber auch tänzerisch den Raum bespielenden Metallwesen mit den dokumentarischen Fotografien in strengem Schwarz-Weiß hervor. Helmut Kopetzky, Kurator der Ausstellung, schilderte seine Entdeckung der fotografischen Serie von Wolfgang Schreier im World Wide Web, 50 Jahre nach ihrer Entstehung. Er skizzierte die Fotografie als eigenständiges, weltweit anerkanntes künstlerisches Ausdrucksmittel, das seine „Armut“ (kein Ton, keine Bewegung und wie in diesem Fall auch keine Farbe) in "Reichtum" ummünze. Zudem verwandele der eingefrorene Augenblick Personen und Objekte in allzeit gültige Archetypen – "Die Fremden", "Die Anderen", "Menschen in Not", "Menschen mit Würde".



Unter dem Titel "Fulda, Auschwitz und zurück" findet am Sonntag, 10. Juni, ab 16 Uhr ein öffentliches Galeriegespräch mit Zeitzeugen der Sechziger und Siebziger Jahre statt. Teilnehmer sind u. a. der frühere Fuldaer Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Hamberger, Mitarbeiter eines Projekts der Fachhochschule für die Kinder der "Sandhohle" und Nachfahren der 1943 deportierten Fuldaer Sinti. (ty) +++


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