Maßnahmenpaket von CDU/Grüne/FDP

Straßenbeitrag in Hessen: Kommunen sollen selbst entscheiden - Reaktionen

Anhörung im Innenausschuss des Hessischen Landtags MItte April 2018 zum Thema Straßenbeiträge
Fotos: Hans-Hubertus Braune

27.04.2018 / WIESBADEN - Bezüglich der seit Jahren umstrittenen Straßenbeiträge hat die hessische Landesregierung gemeinsam mit der FDP gestern ein Maßnahmenpaket vorgestellt. Demnach sollen die hessischen Kommunen in Zukunft selbst darüber entscheiden können, ob sie für Bau- und Sanierungsmaßnahmen Geld von ihren Einwohnern kassieren. Das Maßnahmenpaket sieht im Wesentlichen die folgenden Punkte vor. Der Landtag wird wohl im Mai 2018 über den Entwurf in einer zweiten Lesung diskutieren:

"Die Kommunen entscheiden selbst darüber, ob sie Straßenbeiträge erheben wollen - aus „soll“ wird „kann“.

Auch defizitäre Kommunen sind frei in der Finanzierung ihrer Straßensanierung. Es gibt künftig keinen Zwang zur Erhebung von Straßenbeiträgen bei Defiziten im Haushalt.

Für die Anwohner besteht die Möglichkeit von erheblichen Verbesserungen und Entlastungen. Die Möglichkeit für Ratenzahlungen wird erheblich verbessert. Anstatt Ratenzahlungen über maximal fünf Jahre, sind nun Ratenzahlungen bis zu 20 Jahre bei deutlich niedrigeren Zinsen möglich.

Kommunen, die wiederkehrende Straßenbeiträge erheben wollen, greifen wir finanziell unter die Arme. Mit einem einmaligen pauschalisierten Kostenausgleich in Höhe von 20.000 Euro pro Abrechnungsgebiet beteiligt sich das Land an dem damit verbundenen Verwaltungsaufwand."

Die O|N-Reaktion hat mehrere Beteiligte im Streit um die Straßenbeitragssatzung befragt. Nachfolgend einige Statements von Landtagsfraktionen, Städte- und Gemeindebund, Bürgermeistern und der "AG Straßenbeitragsfreies Hessen":

André Stenda, Bürgermeister (unabhängig, parteilos) von Hohenroda (Landkreis Hersfeld-Rotenburg): „Mit diesem Vorstoß des Maßnahmenpaketes durch die hessischen Regierungsparteien CDU und Grüne sowie FDP lässt man die Kommunen einmal mehr im Regen stehen. Das Kernproblem des hohen vorhandenen Investitionsstaus in der Straßeninfrastruktur und deren Finanzierung wurde hierbei verkannt und gar nicht betrachtet. Viele Kommunen werden durch die Gesetzesgrundlage der EKVO dazu genötigt Straßen auszubauen, bei der Finanzierung hingegen wird man, wie so oft alleine gelassen. Ein großer Investitionsstau ist hier das Resultat, welches sicherlich auch für das Land Hessen kein schönes Bild abgibt. In meinem Elternhaus habe ich gelernt, dass derjenige, der die Musik bestellt, diese auch bezahlen muss - in der Politik nennt man das Konnexitätsprinzip. Zudem weise ich gerne darauf hin, dass Kommunen in Hessen seit der kommunalen Gebietsreform fast allesamt unterfinanziert sind. Eine Wahlfreiheit ist der Vorstoß der FDP mit dem einschwenken der von CDU und Grüne geführten Landesregierung nicht, da die Kommunen einfach nicht das Geld haben, noch zusätzlich den Anteil der Bürger zu übernehmen.

Mit dem Vorstoß des eingebrachten Maßnahmenpaketes sucht man also scheinbar eher ein Alibi, getreu dem Motto „Wasch mich, mach mich aber nicht nass“. Wirklich weiterhelfen tut das aber letztlich keinem und die hohen Belastungen bleiben weiterhin bei den Anliegern, weil die unterfinanzierten Kommunen das alleine nicht stemmen können. Das wiederum führt zu viel Unfrieden in unseren Dörfern, wo doch gerade der große Zusammenhalt das Leben bei uns so attraktiv macht. Mit dem Schulterschluss zwischen Land Hessen und den Kommunen in der Finanzierung der Straßenbaukosten und dem Wegfall der entsprechenden Verbeitragungsgesetze würden sich so viele Probleme lösen lassen. Ich gebe die Hoffnung deswegen nicht auf, dass die Landtagsabgeordneten hier noch den richtigen Weg einschlagen und die Finanzmittel der Anlieger übernehmen, um dann gemeinsam mit den Kommunen den hohen Investitionsstau aufzuarbeiten.“

Der hessische CDU-Fraktionsvorsitzende Michael Boddenberg erklärte: „Wir haben eine gute Lösung im Interesse der Grundstücksbesitzer und Kommunen gefunden. Mit unserem Maßnahmenpakt zu den Straßenbeiträgen greifen wir deren Sorgen und Bedürfnisse auf. So gibt es individuelle Härten, bei denen Anwohner mit hohen Beitragsrechnungen belastet werden. Genau dieser Thematik haben wir uns angenommen. Für die Kommunalen Spitzenverbände hat vor allem die kommunale Selbstverwaltung Priorität. Auch diesem Bedürfnis tragen wir mit unserem Maßnahmenpaket Rechnung. Die Erhaltung der kommunalen Straßen und die Beitragserhebung sind ureigene Aufgaben der Kommunen und unterliegen in ihrer Ausgestaltung der Entscheidungskompetenz der politischen Mandatsträger vor Ort. Das werden wir – auch im Sinne einer generationengerechten Haushaltspolitik – beibehalten. Zu dieser Entscheidungsfreiheit gehört aber auch die Möglichkeit selbst zu entscheiden, mit welchen Mitteln die Straßen saniert werden sollen. Wir sind überzeugt davon, dass bedarfsgerechte und bürgernahe Entscheidungen direkt vor Ort in den Kommunen am besten getroffen werden können.“

Der Schlitzer Bürgermeister Hans-Jürgen Schäfer (CDU), der sich bereits vor dem Verwaltungsgericht in Kassel gegen Verpflichtung gewehrt hat, seine Bürger zwangsweise für die Straßenbeiträge für Ausbau und Sanierung zur Kasse zu bitten, sieht die Entscheidung der hessischen Landesregierung "natürlich als Erfolg". Das sagte er heute Morgen gegenüber OSTHESSEN|NEWS. Zwar kenne er das beschlossene Maßnahmenpaket noch nicht im Detail, befürworte aber uneingeschränkt, dass die Erhebung der Beiträge jetzt ins Belieben der Kommunen gestellt sei. Dennoch bleibe die grundsätzliche Frage zu klären, ob es in der Vergangenheit überhaupt rechtens war, diese Gelder von den Anwohnern zwangsweise einzuziehen. "Wir bleiben auf jeden Fall bei unserer Entscheidung, in dieser Sache vor das Verwaltungsgericht Leipzig zu ziehen", sagte der Schlitzer Bürgermeister.


Andreas Schneider und René Rößing, Sprecher der 'AG Straßenbeitragsfreies Hessen' sieht die Entscheidung der Landesregierung äußerst kritisch: "Das ist doch keine Lösung, den schwarzen Peter der Erhebung von Straßenbeiträgen jetzt an die Bürgermeiser und Kommunen zu delegieren. Statt den Straßenbeitragsirrsinn komplett abzuschaffen, will die Regierungskoalition die Einführung wiederkehrender Straßenbeiträge jetzt auch noch mit Steuermillionen subventionieren." Die AG Straßenbeitragsfreies Hessen lehnt das ab und spricht von einem 'Konjunkturprogramm für Kommunalberatungen und Anwaltskanzleien'. Stattdessen sollte die Landesregierung Straßenbeiträge komplett abschaffen wie in Bayern bereits geschehen. Als reines Placebo für die betroffenen Beitragszahler bezeichnet Schneider die Ausdehnung der Ratenzahlungsfristen von fünf auf 20 Jahre. „Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, steig ab!“ Die schwarz-grüne Regierungskoalition sollte sich diese alte Weisheit der Dakota-Indianer zu Herzen nehmen. Statt mit Steuermillionen Kommunalberatungen und Anwaltskanzleien zu subventionieren und den Verwaltungsapparat aufzublähen, um ein Fossil namens Straßenausbaubeitragssatzung künstlich am Leben zu erhalten, soll sie die Straßenbeiträge endlich abschaffen", meint die AG. Bleibe es bei der "Nichtlösung" durch eine sich abzeichnende Jamaika Koalition, würden die in der AG zusammengeschlossenen Initiativen mit ihren Kooperationspartnern im Landtagswahlkampf "Partei ergreifen" und für ein klares Votum gegen die Straßenbeiträge werben.

Auch die Fuldaer SPD-Landtagsabgeordnete Sabine Waschke ist mit ihrer Fraktion strikt dagegen, die Verantwortung für die Erhebung der Straßenbeiträge von der Landesregierung auf die Kommunen abzuwälzen. "Das nützt den betroffenen Bürgern, die Riesensummen bezahlen sollen, überhaupt nichts", sagt sie. Die Sozialdemokraten im Landtag seien klar und eindeutig für eine generelle Abschaffung der grundsätzlich ungerechten Beiträge. Schließlich nutzten nicht nur die Anwohner die Straßen. "Und den armen ehrenamtlichen Gemeindevertretern vor Ort die Verantwortung für die Beitragszahlung überzuhelfen, ist nicht gerecht, sondern unfair!" Stattdesen sollten die Kosten für Straßenbau und -sanierung künftig durch steuerfinanzierte Strukturförderung des Landes übernommen werden. "Um jeweils zu entscheiden, welche Maßnahmen wirklich notwendig sind, sollte zunächst eine Bestandsaufnahme und dann eine Prioritätenliste erstellt werden", so Waschke.

Der hessische FDP-Fraktionsvorsitzende René Rock erklärte: „Wir sind froh, dass die Koalition auf uns zugegangen ist und unserem Ziel für mehr Bürgerfreundlichkeit und eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung beigetreten ist. Mit unserem Gesetzentwurf stellen wir die Debatte wieder vom Kopf auf die Füße. Wir stärken unsere kommunalen Entscheidungsträger, die die Situation vor Ort wesentlich besser kennen, als wir in Wiesbaden. Uns war wichtig, dass wir den Zwang zur Erhebung von Straßenbeiträgen, der vielerorts für großen Ärger gesorgt hat, abschaffen und mehr Flexibilität bei Höhe und Art der Zahlung erreichen. Für mehr Eigenverantwortung und kommunale Selbstverwaltung treten Freie Demokraten seit vielen Jahren ein. Nun haben wir mit dem vorliegenden Gesetz einen wichtigen Schritt in diese Richtung gemacht."

Auch der Geschäftsführender Direktor Hessischer Städte- und Gemeindebund, Karl-Christian Schelzke, wurde um eine Stellungnahme gebeten. Diese liegt noch nicht vor und wird nach Eingang ergänzt. Der Hessische Städte- und Gemeindebund plädierte während der Anhörung vor dem Innenausschuss im Hessischen Landtag für eine Beibehaltung der aktuellen Regelung und ernete dafür Kritik insbesondere von den Bürgerinitiaven.+++

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