Von Verantwortung und Erneuerung

"Politischer Kehraus" der SPD: Verhaltene Basis will nicht auf die Pauke hauen

Wirbt für den Koalitionsvertrag: der hessische Bundestagabgeordnete Dr. Jens Zimmermann
Fotos: Stefanie Harth

14.02.2018 / HERINGEN (W.) - Berlin: Schulz ist weg. Nahles wird es machen. Scholz übernimmt bis zum Sonderparteitag am 22. April den SPD-Vorsitz kommissarisch. So wollen es das Präsidium und der Parteivorstand - so will es die Spitze. Heringen (Werra): Die Stimmung an der Basis ist beim traditionellen „Politischen Kehraus“ im hiesigen Bürgerhaus, sagen wir mal - verhalten. So richtig auf die Pauke hauen will niemand. Der bevorstehende Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag ist allgegenwärtig.



Allen ist klar: die SPD steht am Scheideweg. „Wir sind die Spezialisten im ‚Uns-selber-eine-Falle-stellen‘. Wir haben in den letzten Wochen ganz viel dafür getan, dass uns die Menschen weder Respekt noch Vertrauen zollen“, sagt der scheidende Unterbezirksvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA), Bernd Stahl, der aus beruflichen Gründen nicht mehr zur Wiederwahl antreten wird. Ein „vertretbarer Kompromiss“ sei der Koalitionsvertrag. „Darauf lässt sich aufbauen, wenn man sich nicht selbst zerstört.“ Stahl ist eines von 450.000 SPD-Mitgliedern, die über den Koalitionsvertrag abstimmen. Er wird „Ja“ sagen, daraus macht er – trotz scharfer Kritik an SPD-Spitze – keinen Hehl.

Heringens Bürgermeister Daniel Iliev schwankt noch zwischen „GroKo“ und „No-GroKo“. „Jeder einzelne Genosse, der abstimmt, sollte sich die Mühe machen, sich zu informieren“, appelliert er. Es stünde den Genossen gut, „ab und zu die Brust herauszustrecken und auf den Tisch zu klopfen“. Es scheint, als sehne sich der Rathauschef nach SPD pur, nach Aufbruch und mehr Seele.

Unter die Überschrift „Verantwortung und Erneuerung“ hat der hessische Bundestagabgeordnete Dr. Jens Zimmermann, der kurzfristig für den eigentlichen Hauptredner, Generalsekretär Lars Klingbeil, „eingesprungen“ ist, seine Ansprache gestellt. Wie auch der heimische Europa-Staatsminister Michael Roth muss Klingbeil an diesem Abend in Berlin ran. Zimmermann bricht eine Lanze für den Koalitionsvertrag. „Er trägt zu 70 Prozent eine sozialdemokratische Handschrift“, untermauert der Odenwälder. „Wir haben richtig was rausgeholt.“

Der digitalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion weiß genau, was blüht, wenn die Genossen den Koalitionsvertrag ablehnen: Neuwahlen - „und damit die totale Selbstzerstörung“. „Verantwortung und Erneuerung – das erwarten die Bürger von uns“, unterstreicht Zimmermann. „Wir sind in einer Situation, in der wir eine Regierung brauchen. SPD und CDU müssen da jetzt ran und dafür sorgen, dass unser Land ordentlich regiert wird.“

Es gelte Ruhe in die Partei zu bringen, sich neu zu sortieren, tief durchzuatmen und eine neue Parteivorsitzende zu wählen: „Dann müssen wir uns überlegen, wie wir uns erneuern. Wir brauchen Leuchttürme, müssen an unser Grundsatzprogramm ran und darüber nachdenken, wie Sozialdemokratie in den nächsten zehn bis 15 Jahren funktionieren wird.“ Streiten und diskutieren sei freilich erlaubt.

Das, was die SPD in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt habe, werde das Leben „vieler, vieler Menschen“ besser machen. Darauf könne man ruhig auch mal stolz sein. Das Eisenbahnblasorchester Bebra bläst an zum Steigerlied. Geschlossen schmettern die Genossen die Zeilen „Glückauf! Glückauf! Der Steiger kommt. Und er hat sein helles Licht bei der Nacht und er hat sein helles Licht bei der Nacht, schon angezündt, schon angezündt…“ Zappenduster ist es an der Basis nicht. Aufstehen. Mund abwischen. Weitermachen… (Stefanie Harth) +++

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