60 Jahre ein "Hans Dampf in allen Gassen"

Vom Leben des Heinz Gellings (83) - Lehrer, Politiker, Sänger, FKG-Protokoller


Fotos: Julius Böhm

10.02.2018 / FULDA - Sie waren über 50 Jahre lang die "närrische Visitenkarte" des Heinz Gellings - seine alljährlichen Büttenreden als "Protokoller" auf den Fremdensitzungen der Fuldaer Karneval-Gesellschaft (FKG). Mit scharfem Blick und spitzer Feder skizzierte er seinen Jahresrückblick vom Lokalen bis zu internationalen Ereignissen. Von strahlenden Prinzen und schnöden Politikern bis hin zu hübschen Frauen, hässlichen Pflastersteinen und Nonnenseufzern. Wenn "der Heinz" in die Bütt stieg, dann waren das meist Knaller, der Erfolg war ihm gewiss. "Es war immer mehr Lust als Last" sagte der heute 83-Jährige bei einem Hausbesuch von OSTHESSEN|NEWS vor wenigen Tagen. Für die 200 bis 230 Zeilen Text brauchte er nur zwei bis drei Wochen "so ab Weihnachten". Und was ihm dabei an Ereignissen nicht mehr einfiel, "das war wohl auch nicht so wichtig".

Wer sich mit Heinz Gellings unterhält, der hat ein "lebendiges Lexikon" vor sich, das viele Facetten seines Schaffens widerspiegelt. Namen von Alt-Karnevalisten fallen dann - die meisten heute nur noch den "Alten" ein Begriff: Reinhold Weißmüller, Leo Dreykorn, Horst John oder der noch immer unermüd-liche Günther Elm. Sie haben dem "jungen Mann" Mitte der Sechziger Jahre Mut gemacht, sich zu engagieren und seinen Spaß zu haben, denn im "Nordend" Fuldas groß geworden und in der Josephs-Pfarrei gerne Theater gespielt, fühlte er sich "wie ein geborenes Talent". "So was wie Büttenrede kann ich auch" sagte er sich und landete als "Stift von der Stadt" über die Stadtverwaltung 1965 seinen ersten Bühnenerfolg. Die Premieren-Rede begann damals so: "Auf der Welt gibt es Dumme und es gibt auch Gescheite, die Dummen haben Geld, die Studierten sind pleite". 

Es waren auch die "Fuldaer Fastnachtssänger" in dieser Zeit, die das Nachwuchstalent förderten und denen er schon bald eine unentbehrliche Stütze wurde. "Ich habe dort jahrzehntelang einen sagenhaften Freundeskreis gefunden" schwärmte Gellings, der auch heute noch den Zusammenhalt unter dem Chorleiter Walter Hampel sen. und später seinem Sohn lobt. Früher hatten sie immer dienstags Probe, aber keinen festen Raum. Also übten die Sänger mal im Café Hobeck, in der ehemaligen Judenschule oder der Domschule, wo Mitglied Pit Neuland hauptberuflich Hausmeister war. 1994 durfte Gellings zum ersten Mal ein Solo vortragen. Es waren bestimmte Lieder, die durch die unnachahmlichen Art mit "richtig viel Schmalz in der Stimme" in den Folgejahren zu seinem Markenzeichen wurden - von "Ich brech´ die Herzen der stolzesten Frauen" bis hin zum "Zuckerschneckchen".



Doch der Erfolg machte ihn nicht übermütig: "Ich bin immer auf dem Teppich geblieben". Sicher prägte ihn auch das Elternhaus, denn sein Vater Heinrich Gellings war von 1948 bis 1972 über 21 Jahre lang hauptamtlicher Bürgermeister der Stadt Fulda. Er war sehr beliebt und erwarb sich in dieser Zeit als "ein der christlichen Soziallehre verbundener Mensch" viele Verdienste um die Barockstadt. 

Neben seinem großen beruflichen Engagement in der Schule und im Sportbereich wurde das Leben von Gellings mit dem Engagement als CDU-Stadtverordneter, langjähriger Stadtverordnetenvorsteher, Chronist und Buchautor geprägt. Seit 1965 alljähriich die Aufgabe des närrischen Protokollers und eine Fleißarbeit, die ihresgleichen sucht. Bei seinen Reden wollte er "nie verletzend" sein, aber die Protagonisten mussten auch einiges aushalten. "Es ist eine ganz besondere Situation, alleine auf der Bühne zu stehen und zu sehen, wie das Publikum beim ersten Mal reagiert". Hin und wieder hat er seinen Text korrigiert, gekürzt oder auch mal ergänzt.


Aber auch "närrisches Treiben" wird vom Zeitgeist geprägt, das Verhalten von Menschen oder des Publikums ändert sich. Das spürt auch Heinz Gellings, der sogar von einer "historisch überholten Figur des Protokollers" spricht. "Das Publikum heute ist anders, die Unruhe im Saal bei Büttenreden wird größer, das Wissen um lokale Ereignisse geht verloren. Sie hören nicht mehr richtig zu, wollen eigentlich immer mehr Action" sagte er beim ON-Besuch in seinem Haus auf dem Fuldaer Aschenberg. Früher habe es manchmal bis zu acht Fremdensitzungen gegeben, heute sind die FKG-Verantwortlichen froh, zwei oder vielleicht eine dritte ausverkaufte Sitzung zu haben.

Auch wenn der 83-jährige nach seiner Krankheit jetzt auf dem Weg der Genesung ist, von der Bühne hat er sich ohne Groll verabschiedet. Viele Karnevalisten halten mit ihm Kontakt, hin und wieder wird er auch mal um Rat gefragt und freut sich, dass OSTHESSEN|NEWS in einem Extra-Bericht am heutigen Tage sein "nicht gehaltenes Protokoll 2017" veröffentlicht (Link: https://osthessen-news.de/beitrag.php?id=11581532 ). Ratschläge will er keinem geben, wenn auch seine Analysen noch glasklar sind. Viel hat "der Heinz" erlebt und kann auf ein erfülltes Leben auch mit der Familie dankbar zurückblicken: "Ich bin mit 80 Jahren noch Opa geworden".  Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Bis heute ist leider ein närrischer Wunsch aus seinem Vorwort zum Buch "Humorvolles Fulda" mit den Büttenreden-Texte 1965 bis 2008 noch nicht in Erfüllung gegangen: die Leser sollten ihn in Stockholm für den "Literatur-Nobelpreis" vorschlagen (Martin Angelstein) +++


Angelstein Martin (68)   , seit fast 50 Jahren in Osthessen als Journalist aktiv, war über 40 Jahre Osthessen-Korrespondent als Videoreporter des hr-Fernsehens. Er gründete 2001 das Nachrichtenportal OSTHESSEN|NEWS, das inzwischen Marktführer der Region ist. Mit viel Leidenschaft und Herzblut verfolgt er das regionale Geschehen, fördert die Ausbildung des Nachwuchses und sieht darin eine wichtige Komponente zum Fortbestehen eines kritischen Journalismus.


X