Fotoausstellung in Wandelhalle

"Die alte Dame und der Papierschwan" - eindrucksvolle Exponate und Biographien

Die alte Dame mit ihrem Papierschwan ist in ihrem Lebensabend in Geborgenheit angekommen.
Fotos: Stefanie Harth

21.12.2017 / BAD HERSFELD - Mit eiligen Schritten durchquere ich die Wandelhalle. Plötzlich – ich vermag nicht zu sagen, wieso, weshalb, warum – halte ich in meiner Vorwärtsbewegung inne. Irgendwie kalt erwischt hat mich die alte Dame im Rollstuhl, die mich mit zahnlosem Lächeln anstrahlt. In ihrer linken Hand hält sie einen sorgsam gefalteten Papierschwan, ihren ganz persönlichen Schatz. „Das muss Glückseligkeit sein“, schießt es mit durch den Kopf. Ich will mehr über die alte Dame erfahren, mehr über all die anderen pflegebedürftigen Menschen, deren Biographien der Kasseler Fotograf und Altenpfleger Victor Zvarun in Bilder gefasst hat.



„Mit dem Herzen sehen – Menschen in der Pflege“ lautet der Titel der Ausstellung, die bis Mittwoch, 10. Januar, in der Wandelhalle des Bad Hersfelder Kurhauses bestaunt werden kann. Abermals ist es dem hiesigen Verein Sehreich gelungen, sehenswerte und berührende Exponate in die Lullusstadt zu holen. Die großformatigen Schwarzweiß-Porträtcollagen spiegeln einfühlsam die Gewissheit wider, angekommen in einem Lebensabend voller Geborgenheit zu sein. Gleichzeitig gewähren sie aber auch einen Einblick in die – durchaus nicht immer makellos schöne – Vergangenheit der alten Menschen, die überwiegend jüdischen Glaubens sind und aus der ehemaligen Sowjetunion stammen.

Noch immer ruht mein Blick auf der alten Dame im Rollstuhl mit ihrem Papierschwan. Lange hat sie unter schwierigsten Umständen – in einem zum Unterschlupf ausgebauten Erdloch – in Kasachstan gehaust. Lange Zeit war sie von ihrer Familie getrennt. Erst in ihrem Lebensherbst fand sie ihr Lachen wieder. Dafür brauchte es lediglich eine fantasievolle Bastelarbeit ihrer Enkelin.

Ruhe. Geborgenheit. Menschsein. „Mit dem Herzen sehen“ rückt die Menschen in den Mittelpunkt. Dafür braucht es keine Namen oder detaillierte Lebensbeschreibung – nur kurze Episoden werden erzählt. „Wir möchten den Ausstellungsbesuchern ermöglichen, in den Bildern die besondere Schönheit zu entdecken – sprich: mit dem Herzen zu sehen“, sagt Sehreich-Vorsitzender Friedhelm Fett.

Wie Friedhelm Fett erläutert, seien Pflegedienste gesetzlich verpflichtet, statistische Daten von den von ihnen betreuten Menschen zu erheben. „Das reichte Ilana Katz, Ausstellungsmacherin, Gründerin des Kasseler Sara Nussbaum Zentrums und Inhaberin des Pflegedienstes PSH, nicht: Sie und ihr Team hörten den Patienten aufmerksam zu, wenn diese ihre Geschichten erzählten.“

Andächtig steht die alte Dame ihrem jüngeren Ebenbild gegenüber. Einst war sie Theater-Schauspielerin in der Ukraine. Viermal war sie glücklich verheiratet, viermal ist sie Witwe geworden. Zufrieden, beseligt, von Liebe erfüllt lässt sie ihr Leben Revue passieren. Ja, auch diese Künstlerin scheint in einem Lebensabend voller Geborgenheit angekommen zu sein. (Stefanie Harth) +++

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