Gedenkfeier an historischer Stelle
Zeitzeuge erinnert sich an Reichspogromnacht: "Das Blut lief über ihr Gesicht"
Fotos: Marius Auth
10.11.2017 / FULDA -
"Zuerst haben sie am Morgen Steine ins Klassenzimmer geworfen. Drei meiner ehemaligen Klassenkameraden wurden durch Glasscherben verletzt, das Blut rann ihnen übers Gesicht. Der Lehrer hat die Klasse dann sofort nach Hause geschickt. Auf unserem Heimweg konnten wir schon die Flammen sehen, die aus der Synagoge kamen. Wir haben hier gebetet und gesungen – wir hatten Chöre und wunderschöne Stimmen drangen jeden Sabbat von der Synagoge auf die Straße. Und jeder hatte seinen eigenen Glauben im Herzen. Aber es gab Menschen, die uns nicht so wollten, wie wir waren", erklärt Löwenberg, der im Anschluss an sein Plädoyer für Mitmenschlichkeit und Frieden eine symbolische jüdische Schriftkapsel an Roman Melamed, den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Fulda, übergab. Das Geschenk soll zum Gedeihen jüdischen Lebens in der Region beitragen.
Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld, Bischof Heinz Josef Algermissen sowie Pfarrer Marvin Lange von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit betonten die Wichtigkeit des Gedenkens an die Reichspogromnacht. Den Anfängen müsse auch heute mit Wachsamkeit begegnet werden, denn Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit hätten wieder Hochkonjunktur, so Lange.
"Das vergangene Jahr hat weltweit gezeigt, dass unsere Freiheit und unsere Demokratie keineswegs selbstverständlich sind. Der Blick auf die Abgründe unserer Geschichte, die sich auch in Fulda gezeigt haben, ist gerade deshalb wichtig. Martin Löwenberg wohnte als Kind in der benachbarten Mittelstraße. Ich verneige mich in Demut vor Ihrer menschlichen Größe und Humanität, dass Sie sich trotz all des Leids mit Fulda verbunden fühlen", so Wingenfeld. Die junge Generation in der Barockstadt sei aktiv tätig gegen das Vergessen: Eine Projektgruppe der Bardoschule hatte sich im Vorfeld unter Leitung von Lehrerin Anja Listmann mit dem Leben Löwenbergs auseinandergesetzt und hielt im Anschluss ergreifende Vorträge.
"Die brennenden Synagogen vor 79 Jahren führten auf direktem Weg zu den Flammen der Verbrennungsöfen von Auschwitz, Theresienstadt, Buchenwald und den anderen Orten der Hölle. Dort haben Menschen dennoch gebetet. Sie haben Klagepsalmen gebetet. Doch den Gebeten müssen wir heute Taten folgen lassen. Wir müssen kämpfen dafür, dass sich solche Geschehnisse niemals wiederholen und dafür auch den Anfängen wehren", erklärte Fuldas Bischof Heinz Josef Algermissen. (Marius Auth) +++