Im Anfang war das Wort

Bibel to go - eine Reise durch Stadt und Nacht - von der Stiftsruine bis zur Kneipe

Bibel to go - ein Höhepunkt der diesjährigen Aktion "Bad Hersfeld liest ein Buch"
Fotos: Gudrun und Manfred Schmidl

05.11.2017 / BAD HERSFELD - Die Stiftsruine war in mystisches Licht getaucht, entfaltete in dieser klaren Novembernacht ihre ganze Pracht und Schönheit. Über dem alten Gemäuer stand der Vollmond am Firmament, erleuchtete von oben den Weg der über 200 Menschen, die sich am Freitagabend auf eine Reise durch Stadt und Nacht begaben. Der Chor „Kreuz & Quer“ unter der Leitung von Matthias Weber empfing die Ankommenden nach einem kleinen Aufstieg auf der Empore unterhalb des Katharinenturms mit Gesang. Pfarrerin Imke Leipold, Diakonin Sabine Kampmann, Pfarrer Frank Nico Jaeger und Pfarrerin Dagmar Scheer begrüßten die Mitreisenden: „Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Zart und überwältigend. Einfach und klar. Neu und wunderschön“. Mit diesen, später angepassten Begrüßungsworten wurden die Reisenden an jeder der insgesamt sechs Stationen empfangen. Das machte Sinn, denn der Reisende konnte entscheiden, ob er gleich kommen und bis zum Schluss bleiben wollte, oder später kommen und früher gehen wollte – alles war möglich.



„Bibel to go“ - diese wunderbare Idee wurde von der Evangelischen Kirche im Rahmen der diesjährigen Aktion „Bad Hersfeld liest ein Buch“, bei dem die „Bibel“ ausgewählt wurde, entwickelt und mit kreativen Mitwirkenden und fleißigen Helfern realisiert. Bibel to go – ist kein schneller Gang voller Wegwerfworte. Bibel to go lädt ein: lasst euch berühren und anrühren vom uralten Wort, versprachen die Veranstalter und hielten Wort. In der Stiftsruine stand die Schöpfung (Genesis 1) im Mittelpunkt, gesprochen in 12 Sprachen von Menschen dieser Stadt mit dem Traum nach Gemeinschaft und Frieden. Es waren Menschen, die aus dem Umfeld des Interkulturellen Zentrums kommen. Mit und ohne Migrationshintergrund, unterschiedlicher Religionen und Konfessionen. Nach dieser Sprachsinfonie setzten die Menschen ihre Reise fort, Nachtlichter wiesen ihnen den Weg. Die Worte von Imke Leipold im Ohr: „Und für diesen Weg durch Stadt und Nacht wünschen wir mit dem letzten Wort der Bibel: Die Gnade des Herrn Jesus sei mit allen!

Schnell und mächtig. Erschreckend und aufrüttelnd. Provokant und lehrreich. Vier Personen verlasen in den Räumlichkeiten der Hersfelder-Zeitung Schlagzeilen vom 31. Oktober bis 3. November aus den Jahren 1957, 1967, 1977 und 2017 vor: Tötungsdelikte, Hinrichtungen in China, Misshandlung von Patienten im Altersheim, Terrorismus, Flüchtlingselend. Nichts hat sich geändert in tausenden von Jahren. Die Schlagzeilen wiederholen sich. Die Fragen auch. Doch gab es auch Wundermeldungen von Verschütteten, die gerettet wurden, vom Mauerfall in Berlin und aktuell von der Freilassung des Menschenrechtlers und bekennenden Christen Peter Steudtner aus der Gefangenschaft in der Türkei. Nichts hat sich geändert in tausenden von Jahren. Die Schlagzeilen wiederholen sich. Die Wunder auch. Musikalisch überraschten Pfarrer Andreas Staus und sein Cousin Manfred Herrmann mit Liedern, deren ergreifende Texte in mittelhessischem Dialekt vorgetragen wurden.

Die nächste Station war die Sparkassenfiliale am Rathaus. Ein Ort, wo vermeintlich alles schwarz auf weiß, zählbar und durchnummeriert, korrekt und wahr ist. Pfarrer Frank Nico Jaeger und Herbert Janßen drehten musikalisch zwischen Geldautomaten richtig auf, verteilten rhythmisch „Geld, Geld, Geld“ und berührten abschließend mit dem Kult-Song „Knockin on heavens door“, bei dem alle Anwesenden gerne einstimmten. Nach einer unglaublich witzigen Szene am Geldautomat, bei der Pröpstin Sabine Kropf-Brandau und Gefängnispfarrer Andreas Leipold als Iris und Holger mit den Tücken der Technik kämpften, konnten die Anwesenden ihre aufgeschriebenen Sorgen loslassen und mit Luftballons in den Nachthimmel schicken.

Matthias Laufer-Klitsch am Saxophon und Sängerin Karin Hehr gestalteten den Besuch bei „Blumen Bechstein“ musikalisch. „Für mich soll´s rote Rosen regnen“, „Vielen Dank für die Blumen“ oder „The Rose“ luden zum Mitsingen ein. Karsten Vollmar trug das Hohelied der Liebe (1. Korinther 13) vor. Duftend und verschwenderisch, intensiv und farbenfroh, vergänglich und unsterblich war die passende Umschreibung für diese Station, denn Liebe und Tod sind so dicht beieinander wie das Blühen und Verwelken einer Blume. Trauer war das Thema beim Besuch des Beerdigungsinstitutes Henniger. Leise und klagend. Erdrückend und erschreckend. Tröstend und heilsam. Inmitten der Särge stehend, das war beklemmend, löste Ängste aus und dann sprach Lea Christian in das Dunkel: „Mama ist tot“. Flötenklänge, Kerzenschein, wer wollte, konnte Namen geliebter Verstorbener laut aussprechen.

Verstörend und verrückt, singend und tanzend, trunken und lebendig war der Aufenthalt im „Luisenkeller“, der letzten Station der Reise. Ein neuer Himmel, eine neue Erde und das Leben sollten gefeiert werden. Udo Diegel empfing die Reisenden mit einem Popmedley zum Thema Engel und begleitete auch die stimmgewaltigen Sängerinnen und Sänger, die „Ein Hoch auf uns, auf dieses Leben“ schmetterten. „Auf den Moment, der immer bleibt“. Viele Momente dieser Reise werden ewig im Gedächtnis der Mitreisenden bleiben, weil sie eindringlich und berührend waren und sie Worte aus der Bibel an Orten hörten, die ihre eigenen Geschichten haben. Wer wollte, konnte im Luisenkeller bei Musik und Tanz weiter feiern. Sabine Kampmann lud alle, die einen besinnlichen, musikalischen Abschluss vorzogen, in die Hospitalkapelle ein. (Gudrun Schmidl) +++






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