"Wir sind für den Ernstfall gerüstet."

Terror, Reichsbürger, Rocker und Gewalt - Polizeipräsident Voß im O|N-Gespräch

Polizeipräsident Günther Voß sagt: "Die Polizei ist für den Ernstfall gerüstet." Im Bild ist er mit zwei Beamten der Polizeistation Fulda zu sehen. Beide haben ein spezielles Training absolviert um bei einer Terrorlage den Erstangriff durchzuführen.
Fotos: Hendrik Urbin

14.11.2017 / FULDA - "Wir leben in einer sicheren Region." Das sagt Osthessens Polizeipräsident Günther Voß im Gespräch mit OSTHESSEN|NEWS. Terror-Gefahr, Reichsbürger, Gewalt an Beamten - die Polizei steht dennoch vor großen Herausforderungen. Auf einzelne Punkte ist der Chef von fast 1.000 Beschäftigten in den Landkreisen Fulda, Hersfeld-Rotenburg und Vogelsberg näher eingegangen.

Internationaler Terrorismus: "anhaltende Gefahr"

"Die Bundesrepublik ist nach wie vor Zielspektrum des internationalen Terrorismus", betont Voß. Es gebe eine anhaltend abstrakte Gefahr, auch für Hessen. "Der IS macht uns die größten Sorgen." Die Terrorzelle hätte es vor allem auf sogenannte weiche Ziele abgesehen. Konkrete Beispiele aus der Vergangenheit: der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 oder das Attentat von Barcelona im letzten Sommer.

Der Polizeipräsident macht in diesem Zusammenhang deutlich: "In Osthessen lebt unserer Erkenntnis nach derzeit kein Gefährder. Uns ist niemand bekannt, der aktiv an einem bewaffneten Kampf in Syrien beteiligt war oder ist. Dennoch gehen wir in unserem Zuständigkeitsgebiet allen Verdachtsmomenten nach, um Gefahren von der Bevölkerung abzuwenden oder Straftaten zu erforschen." Das Staatsschutzkommissariat sei nicht zuletzt auch deshalb personell verstärkt worden.

Voß: "Polizei für Ernstfall gerüstet"

"Die Lage wird immer wieder neu bewertet und den aktuellen Entwicklungen angepasst", sagt der Polizeipräsident. So habe man auch für die Region sämtliche Planunterlagen für mögliche Anschlagsziele und Anschlagsvarianten überarbeitet. In Hessen werde jetzt ein Instrument zur Risikobewertung potentieller islamistischer Gewalttäter - abgekürzt: RADAR-iTE - eingeführt. Diese mit wissenschaftlichen Erkenntnissen erarbeitete Analysemethode hat den Vorteil einer bundesweiten und damit einheitlichen Verfahrensweise.

Zudem sei von der hessischen Polizei ein Not-Interventionskonzept entwickelt worden. "Es ist unsere Reaktion auf die jüngsten Anschläge (München, Paris,… Anm. d. Red.) und sieht vor, sofort zu intervenieren und aktiv das Leben weiterer Menschen zu schützen", erklärt Voß. In Osthessen sind rund um die Uhr diese speziell ausgebildeten und ausgestatteten Teams einsatzbereit. "Die Polizisten sind in der Lage, den Erstangriff durchzuführen bis Spezialkräfte eintreffen. Bei dem Schusswechsel in Alsfeld vor wenigen Wochen hat dieses spezielle Training den Kollegen vor Ort Sicherheit gegeben." Zur Ausstattung gehören neben der schusssicheren Weste ein Titan-Helm, ein Plattenträgersystem, Körperschutzausstattung, Hals- und Tiefschutz sowie eine Schutzbrille. Im kommenden Jahr will das Land neue Schutzwesten einführen, die auch stichfest sind. "Damit übernehmen wir eine Vorreiterrolle", so Günther Voß, der betont: "Die Polizei ist für den Ernstfall gerüstet."

Reichsbürger

In Hessen leben etwa 1.000 Reichsbürger, davon 148 in der Region Osthessen. Sie erkennen die Bundesrepublik Deutschland und ihre Gesetze nicht an. "Ihre Aktivitäten in unserem Beritt sind stark", so Voß, der den Ursprung dieser Gruppierung auch in Osthessen vermutet. Es sei schwierig, Reichsbürger eindeutig zu identifizieren. "Wir arbeiten in diesen Fällen eng mit den Landratsämtern und anderen Behörden zusammen."

Rocker

"Die Gefahr der Rocker-Kriminalität - eng verbunden mit Prostitution, Rauschgift und Waffendelikten - ist da, aber nicht ausgeprägt", so der Polizei-Chef. Man habe die Lage in den Kreisen Fulda und Vogelsberg, dort wo Vereinigungen organisiert sind, im Griff. "Unsere Experten in den Fachkommissariaten beschäftigen sich sehr intensiv mit diesem Phänomen. Einige Personen, von denen wir wissen, dass sie in anderen Regionen aktiv sind, beobachten wir sehr genau."

Allgemeine Kriminalität und Verkehrsunfälle

Im Jahr 2016 sind innerhalb des Polizeipräsidiums Osthessen rund 19.500 Straftaten registriert worden. Die Aufklärungsquote ist mit 66,0 Prozent hoch und liegt über dem Landesdurchschnitt. "Das ist ein sehr gutes Ergebnis, das mein Team zu verantworten hat", sagt Günther Voß. "Unsere Beamten sind engagiert, regional eng verbunden, gut vernetzt und kennen ihr Umfeld genau. Das sind enorme Vorteile in unserer Region."

Die Zahl der Verkehrsunfälle ist mit rund 11.000 im letzten Jahr im Hessen-Vergleich hoch. Gründe sieht Voß vor allem in der "Struktur des Verkehrsnetzes": rund 250 Autobahn-Kilometer, die von den Polizeistationen in Bad Hersfeld und Petersberg betreut werden, der ländliche Raum mit Rhön und Vogelsberg und die hohe Anzahl an Wildunfällen.

Mehr Polizei für Hessen - und Osthessen?

Das Land Hessen investiert in die Sicherheit. Innerhalb von fünf Jahren (bis 2022) werden 1.490 neue, zusätzliche Stellen geschaffen. "Die Zahl ist gewaltig." Hinzu kommen etwa 500 Einstellungen pro Jahr, die notwendig sind, um die Ruhestandsversetzungen auszugleichen. Die Politik hat diese Maßnahme bereits in den Sicherheitspaketen I und II fest verankert. Wie viele Polizisten zusätzlich die Dienststellen in Osthessen verstärken, darauf wollte sich Voß noch nicht festlegen.

Gewaltpotential gegenüber Einsatzkräften wächst

Als "besondere Herausforderung" der Zukunft bezeichnet der Polizeichef die Respektlosigkeit mancher Menschen gegenüber Polizeibeamten. "Jede Gewalttat gegen Einsatzkräfte ist eine zuviel", sagt Voß. Hessenweit wurden im letzten Jahr rund 3.500 Übergriffe auf Beamte gezählt, 100 davon in Osthessen. "Das ist besorgniserregend. Wir müssen uns Gedanken machen, wenn Fans nach einem Fußballspiel Raststätten zerlegen. Szenarien wie diese sind absolut inakzeptabel und erfordern die gesamte Härte des Gesetzes." (Christian P. Stadtfeld) +++


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