Interview mit dem Papst-Kenner
Vatikan-Autor Andreas Englisch: "Keine Sau interessiert sich mehr für die Kirche"
Fotos: Marius Auth
06.10.2017 / FULDA -
Vatikan-Experte Andreas Englisch (54) geht als Journalist seit 1987 in den Palästen des römischen Stadtstaats ein und aus und hat das Alltagsleben dreier Päpste kennengelernt. Der glühende Franziskus-Verehrer argumentiert leidenschaftlich gegen verkrustete Strukturen in der Institution Kirche, die "bereits in einer Generation Geschichte sein könnte" und setzt seine Hoffnung auf den Wandel von unten. Heute Abend um 18 Uhr lud er zur Diskussion in der Fuldaer Münsterfeldhalle ein, Osthessen|News gab er im Vorfeld Einblicke in die Geheimwelt des Vatikans.
"Amoris laetitia" heißt das Schreiben von Papst Franziskus aus dem Jahr 2016, das für Traditionalisten in der Kirche so viel Sprengstoff enthielt, dass die Nachbeben in der Kirchenwelt immer noch zu verspüren sind: Mehr als 60 Priester und Intellektuelle haben sich vor Kurzem vorgewagt und den Pontifex selbst dafür der Häresie bezichtigt. Einer der Gründe: Franziskus hatte angedeutet, dass wiederverheirateten Geschiedenen der Weg zu den Sakramenten nicht verwehrt werden dürfe. Für konservative Kräfte ein Affront, der am Dogma der Unauflöslichkeit der Ehe rüttelt. Englisch, der bereits mehrere Male in Fulda referiert hat und die Bischofskonferenz letzte Woche aufmerksam verfolgt hat, winkt ab: "Ob Wiederverheiratete wieder zur Kommunion dürfen, das ist völlig wurscht. Es geht ums große Ganze: Papst Franziskus ist dabei, das größte Unternehmen der Erde umzubauen. Die Mehrheit im Kardinalskollegium ist nicht mehr in europäischer Hand - das ist die eigentliche Geschichte. Die Dominanz der Italiener, Spanier und Franzosen ist vorbei. Das wird die Kirche für die nächsten Jahrhunderte radikal verändern.
Franziskus geht es wirklich um die armen Menschen, das ist kein Marketing. Was ihn auf die Palme bringt: Ein Drittel der Weltbevölkerung muss unter Kinderlähmung leiden, hunderte Millionen erkranken an Typhus oder Cholera, weil sie keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Die Menschen sterben an Krankheiten, die längst ausgerottet sind. Wenn ein Papst sagt, dass das kapitalistische System defizitär ist, macht er sich jede Menge Feinde. Der Widerstand gegen das Schreiben "Amoris laetitia" dagegen zeigt nur die Reformunfähigkeit der Institution Kirche. In der täglichen Praxis ist es vielerorts üblich, dass Pfarrer auch Geschiedenen die Kommunion geben. Wer aber die Angelegenheit theologisch neu beleuchtet, bedroht die Autorität der Kirche so sehr, dass der Chef der Glaubenskongregation von einer Kirchenteilung spricht. Das Kernargument der Katholischen Kirche über 1.500 Jahre war einfach: Wer nicht katholisch ist, kommt in die Hölle. Die Alleinseligmachende, das war der Anspruch, das wirkt nach. Und jetzt kommt ein Papst und sagt: Gott ist nicht katholisch. Das ist eine Revolution", so Englisch.
Den Wünschen der Hardliner in der Kurie nach Polarisierung verwehre sich Franziskus, gerade beim Thema Terrorismus: "Da sagt er ganz klar: Verrückte gibt es überall, das hat nichts mit Religion zu tun. Dabei wäre die Steilvorlage so schön: Wir stehen mit dem Rücken zur Wand, keine Sau interessiert sich mehr für uns, die Leute lassen ihre Kinder nicht mehr taufen - aber ihr braucht uns, als Bollwerk. Dem verweigert er sich und ist damit der erste Papst, der nicht von Links, sondern hauptsächlich von Rechts kritisiert wird", so Englisch. Der unprätentiöse Auftritt des argentinischen Kirchenoberhaupts bedrohe zudem die Aura der Symbolfigur Papst: "Seine Gegner werfen ihm deswegen vor, er schaffe das Papsttum als solches ab. Er lässt sich weder 'Heiligkeit' noch 'Stellvertreter Gottes' nennen. 'Nenn mich Jorge' sagt er beim Gespräch als erstes: Das macht den ganzen Dünkel kaputt.
Wenn mich Leute in meinen Veranstaltungen reden hören, bekomme ich häufig Rückmeldungen auch von Nichtgläubigen - irgendetwas von diesem Wesenskern des Christentums berührt auch die Religionsfernen", so Englisch. (Marius Auth) +++
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