"Herausforderung und Chance"

Keine Angst vor der Digitalisierung: 400 Unternehmer beim IHK-Wirtschaftstag

IHK-Präsidium und Hauptgeschäftsführung mit den Gästen des Wirtschaftstages.
Foto: IHK

09.09.2017 / FULDA - "Sein oder Nichtsein: Den digitalen Wandel gestalten." Unter diesem Motto steht der traditionsreiche 24. Wirtschaftstag der Industrie- und Handelskammer (IHK) am Freitag in Fulda. Der Stadtsaal der Orangerie ist mit mehr als 400 Unternehmern, Politikern und Personen des öffentlichen Lebens bis auf den letzten Platz besetzt. Fünf hochkarätige Vorträge stehen auf der Agenda. Es geht aber nicht nur um die neusten Entwicklungen der Industrie 4.0, sondern auch um das Netzwerken untereinander. 



Das Motto verdeutlicht die existenzielle Bedeutung der Digitalisierung fürs moderne Unternehmen: „Vernetzung und Automatisierung betrifft heute direkt Arbeitsplätze, fürs mittelständische Unternehmen ist die Digitalisierung aber ein Jobmotor. Wir wollen mit den heutigen Rednern Mut machen: Es steckt viel Potenzial in den neuen Technologien, man muss es nur richtig umsetzen“, erklärt IHK-Präsident Bernhard Juchheim. Professor Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, verortete die Stärke der deutschen Wirtschaft im Ökosystem Netzwerk: „Individualisierte Produkte und Cluster-Strukturen sind ein Alleinstellungsmerkmal deutscher Wirtschaftskraft: Der Industrie in den Vereinigten Staaten fehlen diese vernetzten Strukturen weitgehend. Die Innovationszyklen sind heute atemberaubend kurz geworden, der Konsument in der Marktwirtschaft treibt den Strukturwandel voran.

Die Benchmark-Studie „Digitalisierungsindex Mittelstand“ ermittelt den digitalen Status des Mittelstands und kommt zu erfreulichen Ergebnissen: Nur 10 Punkte mehr beim Digitalisierungsgrad bedeuten schon 0,76 Prozent mehr Wirtschaftswachstum. Zu Beginn der Automatisierung in den 1970er-Jahren wurde von manchen das „Ende der Arbeit“ proklamiert, so vernichtend würden die Folgen für die Arbeiter sein. Es stimmt, dass durch die Digitalisierung in einem Unternehmen bis zu einem Drittel der Arbeitsplätze wegfallen können – allerdings können diese Potenziale durch ein dynamisches Wachstum auch wieder aufgefangen werden. Wirtschafts-Politik kann den Wandel nicht gestalten, das ist die Aufgabe des Marktes – schlechte Politik kann aber behindern“, so Hüther. Bildung sei in einer flexiblen Arbeitswelt zunehmend auch Aufgabe des Bürgers, nicht nur Aufgabe des Staats.

Autor, Blogger und Business-Punk Sascha Lobo war gekommen, um Angst zu machen: Eine interaktive Saalumfrage im Stadtsaal hatte offenbart, dass die meisten Unternehmer hoffnungsfroh in die Zukunft blickten, Lobo verdeutlichte in seinem Vortrag die Notwendigkeit der Anpassung an die modernen Marktentwicklungen: „Wir erleben einen exponentiellen Fortschritt in Zeiten der Digitalisierung, aber es sind nicht die Technologien, welche die Welt verändern – sondern die Art, wie sie genutzt werden. Früher oder später wird alles per Smartphone geteilt werden: vom Mittagessen bis zur Geschlechtskrankheit, für die gerade eine App entwickelt wurde. Die digitale Ungeduld ist eine neue Entwicklung und fungiert als Treiber wirtschaftlicher Prozesse – traditionell aufgestellte Unternehmen dürfen dieses Potenzial nicht ungenutzt lassen“, so Lobo. Direkt-Überweisungen per Snapchat, wenn auch bisher nur in den USA, würden das traditionelle Bankgeschäft neu erfinden.

Die Zukunft sei im „Plattform-Kapitalismus“ zu finden: „Die Wertschöpfung wandert in die digitale Sphäre: Vom iPhone über die App bis hin zur komplett vernetzten Software wie Instagram zeichnet sich eine neue Entwicklung ab. Die Menschen kaufen nicht mehr die Hardware, sondern eine Netzwerk-Software, die ihnen nicht einmal gehört“, so Lobo. Die Zukunft stehe direkt vor der Tür, so Lobo: Selbst in der Medizin werde künstliche Intelligenz inzwischen genutzt, um Diagnosen zu erstellen. Depressive Tendenzen könnten gar mit einer Stimmanalyse-Software bemerkt werden, die von Facebook entwickelt wurde. „Abgründe der Digitalgläubigkeit“ nannte Lobo die fröhliche Naivität der Konsumenten angesichts der erhobenen Datenmengen und ihrer Nutzung – die nicht aufzuhaltende Entwicklung erfordere eine Emanzipation des Konsumenten, um den Fortschritt in förderliche Bahnen zu lenken. (Marius Auth) +++

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