Nazi-Aufmarsch und "Polizeiskandal"

Geplante "Dritte Weg"-Demo weckt schlimme Erinnerungen an 1993 - VIDEO


Fotos: Martin Angelstein

25.08.2017 / FULDA - Zitieren wir Max Liebermann: "Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte", soll der deutsche Maler beim Betrachten eines Fackelzugs zu Adolf Hitlers Machtübernahme 1933 gesagt haben. Schon wieder ein Neonazi-Aufmarsch in Fulda? Das ist doch gerade erst - fast auf den Tag genau 24 Jahre her, als die "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP) Fulda heimsuchte. Am 14. August 1993 überfielen etwa 500 Neonazis aus Deutschland und ganz Europa die Barockstadt, hielten auf dem Domplatz eine Kundgebung ab, zogen im Anschluss mit ausländerfeindlichen Parolen durchs Zentrum und versetzten die Bürgerschaft in Angst und Schrecken.

Es war ein strahlend schöner Samstagmittag. Der Biergarten der "Wiesenmühle" war voll besetzt, und dass über Fulda ein Hubschrauber kreiste, wurde nur am Rande zur Kenntnis genommen. Der anschließende Gang in Richtung Innenstadt verlief zunächst ohne besondere Vorkommnisse, bis plötzlich laute Rufe zu vernehmen waren. Mit jedem weiteren Schritt wurde klar, dass da niemand rief, sondern viele Kehlen lauthals etwas skandierten. Noch das Zitronemannsgässchen hoch, und in der Marktstraße war dann der schöne Tag gelaufen: "Deutschland den Deutschen - Ausländer raus!" Mit Hitlergruß und Fahnen zogen 500 Nazis an Passanten vorbei, die das Treiben hilflos mitansehen mussten.

Diese unheimliche Begegnung der dritten Art hatte ein Vorspiel, das in den Annalen der Stadt im "Pleiten, Pech und Pannen"-Ordner abgeheftet werden könnte. Selbst der damalige hessische Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) räumte ein, "dass der Aufmarsch zu jeder Stelle zu verhindern gewesen wäre", wie einem Zeitungsbericht vom 26. August 1993 zu entnehmen ist. Dass Unglück nahm seinen Lauf, als am 12. August beim Rechts- und Ordnungsamt ein Schreiben der FAP einging, in dem die "Durchführung eines Marsches mit Schlusskundgebung" beantragt wurde. Da weder ein konkreter Termin noch eine Marschroute genannt war, wurde der Antrag routinemäßig zu den Akten gelegt. Dass dem damaligen Amtsleiter die Schlussformel des Schreibens "Mit vorzüglicher Hochachtung und deutschem Gruß" entgangen war, wurde ihm später fast zum Verhängnis. "Da hätten doch sämtliche Warnlichter angehen müssen", so Hans Eichel. Nichtsdestotrotz stellte sich OB Dr. Wolfgang Hamberger vor seinen Amtsleiter. 

Hamberger beschreibt in seinen Erinnerungen an seine Zeit als Fuldaer Oberbürgermeister, wie die Neonazis an diesem Tag regelrecht Katz und Maus mit der Polizei gespielt hatten. "Erst hatte es geheißen, sie wollten zusammen mit den hungerstreikenden Kaliarbeitern im thüringischen Bischofferode des Todestags von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß gedenken, andere Versammlungsorte wurden in bewusster Desinformation genannt, und schließlich sammelten sich die Rechtsradikalen im Raum Kassel." Die Fuldaer Zeitung schrieb am 16. August 1993: "Die Rechten versammelten sich darauf in sechs Bussen und 50 Pkw auf Parkplätzen bei Kassel und fuhren nach Fulda. Während hier nach Auskunft von Einsatzleiter Günther Voß schließlich 80 bis 90 Polizisten Aufmarsch und Demonstration begleiteten, hielten 140 Beamte 500 ,gewaltbereite' Angehörige aus der linken autonomen Szene an der Autobahnausfahrt Fulda-Nord in Schach. ,Dort war der eigentliche Brennpunkt des Geschehens', betonte Voß."

Dass eine rechte Demo ungehindert möglich war, aber alle Kräfte zur Verfügung gestanden hatten, um eine linke Gegendemonstration zu verhindern, war nur ein Vorwurf, den sich die Polizei damals gefallen lassen musste. "Augenzeuge Fritz Hertle, Landtagsabgeordneter der Grünen, fühlte sich an das Verhalten der Polizei bei ganz anderen Großveranstaltungen im stockkatholischen Fulda erinnert", schrieb der "Spiegel": "Hertle: ,Das war die gleiche plaudernde Jovialität wie bei der Fronleichnamsprozession.' Der Aufmarsch von 500 Rechtsextremisten, die den Domplatz besetzen konnten, die Untätigkeit der hessischen Ordnungshüter, der Versuch der Vertuschung hinterher: Der ,Polizeiskandal' (Hertle) sorgte republikweit für Empörung, und ausländische Fernsehsender übermittelten ihren Zuschauern, wieder einmal, Bilder von einem Land, in dem Neonazis in aller Ruhe ihr politisches Geschäft betreiben dürfen." Die Beamten hätten das "Bild eines miserabel geführten, stümperhaften und bestenfalls unmotivierten Haufens" abgegeben, rügte Hansgeorg Koppmann, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Hessen. Die Einsatzleitung habe "auf der ganzen Linie versagt".

1993 ist Fulda von den Neonazis kalt erwischt worden. Zur Ehrenrettung der Stadt muss gesagt werden, dass es eine Invasion von außen war - kein einziger Teilnehmer des rechten Aufmarsches stammte aus Fulda. Am kommenden Samstag, wenn "Der Dritte Weg" in der Barockstadt demonstrieren will, ist die Stadt vermutlich besser gerüstet. Bleibt zu hoffen, dass sich ganz viele Bürger den Neonazis entgegenstellen. - Flagge zeigen! (mw) +++

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