Phantasievoll - modern - entstaubt

"Italienische Nacht" voller Magie: Publikum feiert Festspiele-Operninszenierung

Ganz große Oper mit Happy End bietet die "Italienische Nacht" in der Bad Hersfelder Stiftsruine.
Fotos: Erich Gutberlet

02.08.2017 / BAD HERSFELD - Wellen branden gegen das altehrwürdige Mauerwerk der Stiftsruine. Auf der Bühne tobt ein Orkan der Gefühle. Giuseppe Verdis „Sturmchor“ erklingt. Phantasievoll, überbordend vor Einfallsreichtum kommt sie daher, die „Italienische Nacht“, die Christian Schuller eigens für die Bad Hersfelder Festspiele inszeniert hat. Obwohl ganz großes Drama geboten wird, wird die Oper – so paradox das auch klingen mag – geradezu entdramatisiert.



Der Opernregisseur, der Szenen aus grandiosen Werken, wie Verdis „Otello“, Bellinis „Norma“, Donizettis „Maria Stuarda“ oder Puccinis „Tosca“, zu einer völlig neuen Handlung verwoben hat, verlässt ausgetretene Pfade. Magisch, modern, entstaubt präsentiert sich die „Italienische Nacht“. Das komplette Ensemble agiert wie entfesselt, hat sichtlich große Freude daran, aus dem althergebrachten Trott auszubrechen.

Mal stimmgewaltig, mal sanftmütig mimt Zurab Zurabishvili (Tenor) den Außenseiter, den Niemand. Mit ihrem glockenklaren Sopran besticht Nadja Stefanoff als Liebende auf der Flucht. Zum Niederknien schön: ihre Darbietung von Bellinis „Casta Diva“. Mut für skurrile Momente legt „Bösewicht“ Kwang-keun Lee (Bariton) an den Tag, der kurzfristig für den erkrankten Marco Vratogna eingesprungen ist. Der Südkoreaner genießt seinen Auftritt in vollen Zügen. In gewohnt bestechender Manier spielen die Virtuosi Brunenses punktgenau auf, die hingebungsvoll in die Welt der sommerlichen Opernphantasie eintauchen.

Mitspielen müssen auch die Mitglieder des Hessischen Konzert- und Festspielchors. Die rund 65 Sänger aus Frankfurt, Marburg und Bad Hersfeld sind Teil der Handlung, stehen keineswegs wie Statuen auf der Festspielbühne. Sie „zaubern“ wunderschöne Bilder und Gänsehautmomente. Hand aufs Herz: Es ist ein wahnsinnig intensiver Augenblick, als der Chor sich auf den Tribünenzugängen formiert, um den Hymnus an die Freiheit, Verdis „Gefangenenchor“, inbrünstig zu schmettern.

Während Ulrich Manfred Metzger Solisten, Orchester und Chor zusammenhält, lenkt Schauspielerin Corinna Pohlmann („Martin Luther – Der Anschlag“; „Hexenjagd“) das Geschehen. Sie ist die omnipräsente Strippenzieherin, die dem Publikum als Fremdenführerin Hilfestellung gibt, sich als Beteiligte mit den Protagonisten identifiziert und als Insiderin alle Fäden in der Hand hat. Aus einem augenscheinlich wirren Konstrukt erwächst ein fließendes Ganzes…

„Stopp, alles zurück auf Anfang“, sagt die Spielleiterin, Wegweiserin und Schicksalsgöttin. „Die Geschichte kann auch anders ausgehen – versöhnlicher. Also rollen wir das Ganze noch einmal auf.“ Die Liebenden liegen sich in den Armen. Der Tyrann verwandelt sich in einen Friedensfürsten. Champagnergläser kreisen. Die Zeit für Verdis „Brindisi“ („La Traviata“) ist gekommen. Klammheimlich stiehlt sich die Strippenzieherin aus dem Rampenlicht davon, wechselt über auf die Schattenseite. Sie hat ihr Werk vollendet. Endlich mal eine italienische Oper mit Happy End. Frenetischer, langanhaltender Applaus. (Stefanie Harth) +++

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