Furioser Thrill im Schloss Eichhof

Spannend, very british und verrückt: „39 Stufen“ der Festspiele erklommen

Martin Semmelrogge ist unter anderem Mann No. 1.
Fotos: Erich Gutberlet

17.07.2017 / BAD HERSFELD - Mitreißend. Aberwitzig. Verrückt. Nicht zu vergessen: der typische britische Humor, der sich wie ein roter Faden durch die „39 Stufen“ zieht. Mal wieder entpuppt sich das Eichhofstück als Garant für unterhaltsames, spannungsgeladenes Sommertheater. Der Stoff von Alfred Hitchcocks Frühwerk, den Patrick Barlow für die Bühne bearbeitet hat und Patrick Schimanski für die Bad Hersfelder Festspiele inszeniert, funktioniert auch in der anheimelnden Atmosphäre des kleinen Freilichttheaters. Gemeinsam mit dem Schauspieler-Quartett ergründet das Publikum das Geheimnis der 39 Stufen, einer gefährlichen Spionage-Organisation.



Rätselhafte schöne Frauen. Agenten. Gewagte Unternehmen. Abenteuer. Genussvoll, ja feinsinnig spielt die Krimikomödie mit sämtlichen Thriller-Klischees. Gnadenlos werden Hitchcocks Meisterwerke, wie „Das Fenster zum Hof“, „Der Mann, der zu viel wusste“ oder „Der unsichtbare Dritte“, verballhornt. Auch die legendäre deutsche Fernsehserie „Derrick“ – „Harry, fahr schon mal den Wagen vor“ – bekommt ihr Fett weg. Aktuellster Fingerzeig: der Schwarze Block, der unlängst beim G20-Gipfel in Hamburg für Krawalle sorgte.

Trotzdem driften die „39 Stufen“ nie ins Lächerliche ab. Gefuchst zieht Regisseur Patrick Schimanski gelegentlich die Handbremse, indem er halsbrecherische Verfolgungsjagden und wilde Schießereien entschleunigt; die Bewegungsabläufe in Zeitlupe darstellen lässt. Ein Unterfangen, das der Spannung niemals Abbruch tut. Ganz nah dran sind die Zuschauer an den Akteuren, da die Bühne wie ein Steg hinein in den Zuschauerraum ragt.

Auf dem „Catwalk“ präsentieren sich Stefan Kaminsky (Richard Hannay), Sarah Elena Timpe (Pamela, Annabella, Margaret), Martin Semmelrogge, Markus Majowski und Bühnenmusiker Philipp Wiechert als eingeschworene Gemeinschaft. Bravourös verkörpert Stefan Kaminsky den vom Leben angeödeten Hannay, der ungewollt in ein Abenteuer stolpert, mit schwarzem Humor alle Unbilden meistert – „I'm easy like Sunday morning“ – und am Ende auf seine große Liebe trifft. Facettenreich gibt sich Sarah Elena Timpe, die ihre stärkste Vorstellung als romantische und herzensgute Bauersfrau Margaret abliefert.

Martin Semmelrogge und Markus Majowski liefern sich eine Figuren-Schlacht. Im Minutentakt wechseln sie ihre Rollen. Ob als Straßenlaterne, Inspektor, Conférencier, Hotelbesitzerin, Milchmann oder Pilot: Semmelrogge, der Mann mit der unverwechselbar knarzigen Stimme, ist quasi allgegenwärtig. Klar, dass der Erzkomödiant mit Verve den Schurken, den Antagonisten mimt. Kongenial ist der extrem wandlungsfähige Markus Majowski, der besonders als Gedächtniswunder Mr. Memory zu beeindrucken weiß und selbst einer morastigen Stelle im Sumpf Tiefgang verleiht. Sein Mienenspiel spricht Bände. Hut ab!

Ein Sonderlob hat sich Bühnenmusiker Philipp Wiechert verdient, der für schnelle Stimmungswechsel sorgt, die Handlung vorantreibt und sich durch Rock, Pop, Filmmusik und Folklore crossovert. Klappleitern. Holzkisten. Holzböcke. Bettlaken. Ann-Sophie Paar setzt auf sparsamste Requisiten, um die Fantasie der Theatergänger anzuregen. Wunderschön sind zudem die Kostüme anzusehen, die – „very british“ – im klassischen Stil der 40er Jahre gehalten sind.

Mitreißend. Aberwitzig. Verrückt. Vier Schauspieler in rund 50 Rollen lassen „Die 39 Stufen“ zu einem Theatererlebnis der besonderen Art werden. Langanhaltender, freundlicher Applaus. Mehr Infos: http://www.bad-hersfelder-festspiele.de/. (Stefanie Harth) +++

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