Ein Roboterarm für die Schwester
Tamara (17) würde so gern alleine eine Seite umblättern können
Julian und Tamara Schneider
23.03.2017 / FULDA -
Die junge Frau hat die Muskelkrankheit FSHD (siehe Kasten), sitzt daher in einem elektrischen Rollstuhl und ist in nahezu allen Lebenslagen auf fremde Hilfe angewiesen. Wer sie zum ersten Mal trifft, könnte den Eindruck gewinnen, sie wäre arrogant, geistig abwesend oder gar traurig. Dem ist aber nicht so. Durch die Krankheit sind nur auch ihre Gesichtsmuskeln geschwächt und ihre Mimik – ein wichtiger Signalgeber in der Kommunikation – ist stark eingeschränkt.
Im Alter von fünf Jahren fiel erstmals auf, dass sie beim Laufen ein Bein hinterherzog. Von da an nahm die Krankheit schleichend Besitz von ihr, der hellwache Geist verlor zusehends den Zugriff auf den Körper. Zunächst ermöglichte ein Treppenlift den Zugang zur Wohnung im ersten Stock, seit Jahren ersetzt ihn ein Aufzug in dem Haus in Fulda-Haimbach. Dort ist sie selten länger als zwei Stunden alleine. Um zu trinken, muss sie darum bitten, ein Glas Wasser zum Mund geführt zu bekommen. Ihr langes blondes Haar ohne fremde Hilfe zu kämmen, wäre zu kräftezehrend. Auch wenn die Bücher im Regal nur wenige Zentimeter von der Schülerin entfernt stehen, könnten es für sie ebenso gut Kilometer sein. Eines herauszunehmen und auf den Tisch zu legen, bleibt illusorisch.
Weil sie wegen jeder Kleinigkeit jemanden fragen muss, befindet sie sich permanent in einem Dilemma. „Meine Familie und Freunde helfen mir gerne, aber ich merke auch, wie sie dabei ihre eigenen Bedürfnisse vernachlässigen. Deshalb möchte ich vieles auch mal alleine schaffen.“ Und sie möchte das auch deshalb, weil Privatsphäre für sie ein Fremdwort ist. Ihr Umfeld bekommt stets genau mit, womit sie sich gerade beschäftigt. Daran hat sie sich gewöhnt und akzeptiert auch ihre Grenzen. Aber allzu gerne wäre sie doch ein Stück freier und unabhängiger.
In seiner Schulzeit vom Sport befreit, beschäftigte er sich intensiv mit Mathematik. Aus heutiger Sicht ein wichtiger Mosaikstein seines Könnens. Beim Fuldaer Spezialisten für automatische Produktionssysteme FFT schloss er seine Ausbildung zum technischen Produktdesigner erfolgreich ab. In diesem Herbst kehrt er als Werkstudent in das Unternehmen zurück, während er zeitgleich Maschinenbau studiert. Ziel: Ingenieur.
Seit über einem Jahr konstruiert er daher einen eigenen Roboterarm, der die heute verfügbaren um Längen schlägt. Da er alle Teile von Grund auf neu entwickelt hat, steckt ein enorm innovatives Potential darin. Bei gleicher Größe wie andere Arme wird der aus dem Hause Schneider einmal bis zu acht Kilogramm heben können. Alle Berechnungen bestätigen dem jungen Techniker, dass seine Erfindung funktionieren wird. Einerseits ein Hoffnungsschimmer für alle muskelschwachen Menschen auf mehr Freiheit und Selbstbestimmung im Alltag. Andererseits eine Sensation aus Fulda.
Der nächste Schritt ist der Bau eines Prototypen und das Erstellen des komplexen Steuerungsprogramms. Neben fähigen Programmierern benötigt Julian Schneider vor allem etwa 35.000 Euro. Eine Utopie, erdacht im Kämmerlein eines Spinners?
Keineswegs, denn im Herbst vergangenen Jahres erhielt er für sein Projekt von der Stiftung zur Förderung der Inklusion durch Mobilität (IDM) den Ritterschlag. Dort ist man nicht nur beeindruckt, sondern von Julian Schneiders Erfolg überzeugt. Daher stellt die Stiftung ein Bank-konto bereit, damit der junge Konstrukteur finanzielle Mittel einsammeln und gleichzeitig Spendenquittun-gen ausstellen kann. Knapp 3.000 Euro sind bereits eingegangen. Die Vision wird greifbar. Sicher, es wird noch eine Weile dauern. Aber in Sachen Geduld sind die beiden ja glücklicherweise unschlagbar.
Für finanzielle Unterstützung:
Sie sind von Julian Schneiders Vorhaben begeistert und möchten sein Projekt mit einem eigenen Beitrag unterstützen? Dann nutzen Sie folgende Bankverbindung für Ihre Spende: Kontoinhaber: IDM Stiftung,
IBAN: DE55 6602 0500 0008 7223 00, BIC: BFSWDE33XXX, Verwendungszweck: Robimobil und Ihre Postanschrift für die Spendenquittung. http://robimobil.org Sie können unter julian.schneider1996@gmx.de auch direkten Kontakt aufnehmen. (Jens Brehl)+++
Dieser Beitrag ist zuerst in der aktuellen Ausgabe von SeitenWechsel Magazin erschienen, einem Projekt der St. Antonius gGmbH © http://www.seitenwechsel-magazin.de