Heiter-informativer Polit-Abend

Gregor Gysi über das "Monster Bürokratie" und die Bundestagswahl

Ein Genuss beiden Politikern zuzuhören: Gregor Gysi (links) und Moderator Dr. Rolf Müller (CDU)
Foto: Carina Jirsch

07.03.2017 / STEINAU a.d. Str. - Folgen wir Dr. Gregor Gysi, der am Montagabend im Rathaus von Steinau an der Straße von Bürgermeister Jörg Uffeln (parteilos) zu einem Vortrag über das Thema "Monster Bürokratie – Schnürt die Bürokratie Leben und Demokratie in den Städten und Gemeinden ein?" eingeladen worden war, bei einem Gedankenspiel: Nehmen wir an, bei der Bundestagswahl ergebe sich eine Konstellation, dass rechnerisch eine Regierungsmehrheit von sowohl Schwarz/Grün als auch Rot/Rot/Grün möglich wäre.


"Es ist bekannt, dass die Grünen nicht abgeneigt sind, mit der Union zu koalieren", sagte Gysi. "Ich habe dann neulich zu Cem Özdemir gesagt: 'Wenn die Grünen mit CDU/CSU zusammengehen, dann wandern alle Konservativen bis zur übernächsten Bundestagswahl zur AfD ab. Willst du das?' Da bekam Cem große Augen." – Schnee von morgen. Fest steht, dass Gregor Gysi kürzlich in einem Interview auf die an den Haaren herbei gezogenen Frage, welchen Ministerposten er bei einer Regierungsbeteiligung der Linken für sich beanspruche, erwiderte: "Ministerposten? Ich will Bundeskanzler werden." Der Rest des Gesprächs habe sich damit erledigt gehabt, sagte Gysi gestern – und grinste.

Gregor Gysi trat in Steinau genauso authentisch auf, wie man ihn aus dem Fernsehen kennt: blitzgescheit, höchst eloquent, an der Sache orientiert, streitbar, aber nicht verletzend, witzig, ein wenig eitel, zur Not kompromissbereit, aber nicht fähig, seine festen Überzeugungen zu verraten. Ein Schwerkaräter unter den deutschen Politikern, der sich den Respekt auch seiner Gegner erarbeitet hat.

Und obwohl die meisten der 170 Zuschauer in der historischen Markthalle nicht unbedingt im Verdacht standen, Sympathisanten oder gar Mitglieder der Linken zu sein, folgten sie dem 69-Jährigen ob dessen Überzeugungskraft im Nu und quittierten Gysis charmanten Vortrag mit Schmunzeln und – wenn es um soziale Ungerechtigkeit ging – zustimmendem Applaus.

"Die Bürokratie ist wichtig, allein schon um die Freiheit des Einzelnen zu gewährleisten", sagte Gysi zu Beginn seines Vortrags. "Ein paar Vorschriften machen immer Sinn, solange sie effektiv sind. Man darf es mit ihnen aber auch nicht übertreiben." Er finde es unverantwortlich, wenn die EU den Grad der Krümmung von Gurken vorschreibe und Tonnen von "falschen Gurken" daraufhin vernichtet würden, während Millionen von Menschen des Hungers stürben.

Eine klare Absage erteilte Gysi auch dem Beamtendeutsch, das bewusst so formuliert sei, damit es Otto Normalverbraucher nicht verstehe. Darüber hinaus fehle es im Öffentlichen Dienst schlicht und ergreifend an Personal: "Wenn Sie in Berlin einen Personalausweis beantragen, müssen Sie acht bis zehn Monate darauf warten. Es gab einen Fall, da hatte ein Gastwirt um eine Genehmigung ersucht, im Sommer 2001 Stühle auf die Straße stellen zu dürfen. Die wurde ihm auch erteilt – im Sommer 2002."

 Eine Möglichkeit, um den Bürgern den bürokratischen Ballast zu nehmen, sieht Gysi in einer "Umdrehung des Rechts", wie er es nennt. "Heute müssen die Menschen Anträge stellen und warten, bis der Staat diese bewilligt. Kann man nicht Fristen einführen nach dem Motto: Wenn die Ämter bis dann und dann nicht reagiert haben, ist der Antrag durch? Dann wäre nämlich der Staat unter Druck und der Bürger entlastet." Gysi schloss seinen Vortrag mit der Bemerkung: "Es geht nicht ohne Bürokratie, nur zu viel ist schädlich. Das richtige Maß zu finden ist die eigentliche Kunst."

An das Referat schloss sich eine beschwingte Fragerunde an, die von Dr. Rolf Müller (CDU) moderiert wurde und in der Gregor Gysi, der Präsident der europäischen Linken ist, bereits im Hinblick auf die bevorstehende Bundestagswahl für ein geeintes Europa und mehr soziale Gerechtigkeit in der Bundesrepublik warb. (Matthias Witzel) +++

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