Bewegend und beklemmend
Bestie trifft auf junges Mädchen: Lesung "Annes Kampf" in ehemaliger Synagoge
Fotos: Christian Reinhardt
13.02.2017 / KALBACH -
Eine bewegende, mitunter auch beklemmende Begegnung erlebten die zahlreichen Menschen, die jetzt zur Lesung "Annes Kampf" in Heubachs einstige Synagoge gekommen waren – in ein Gebäude, das nicht nur jüdisches Gotteshaus, sondern die meisten Jahre der Nazi-Herrschaft das Rathaus des Dorfes gewesen ist. Die Schauspielerin Marianne Blum und der Schriftsteller Guido Rohm gestalteten das Aufeinandertreffen von Passagen aus dem "Tagebuch der Anne Frank" und Adolf Hitlers "Mein Kampf" an dem historisch doppelt geprägten Ort hochspannend, provokativ und zugleich einfühlsam.
"Erkenne, vor wem Du stehst", so steht es unter einem Davidstern auf einer Gedenktafel an der Stirnwand der Synagoge, vor der Blum die Worte Anne Franks liest. Das gibt den ohnehin eindringlichen, mal naiv-kindlich, mal in allzu früh erwachsen klingenden Texten der jüdischen Teenagerin noch mehr Präsenz und Gewicht. Blum versteht es, auch den Humor in Annes Tagebuchgedanken erlebbar zu machen, ohne den grausamen Ernst der Situation auszublenden.
Unaufhaltsam schreiten die chronologisch angeordneten Textpassagen dem absehbar grausamen Ende entgegen: der Verhaftung der Franks in ihrem Hinterhaus-Versteck und der Deportation nach Bergen-Belsen, wo Anne und die meisten aus ihrer Familie im Februar oder März 1945 sterben.
Mit Paul Celans Gedicht "Todesfuge" gibt Rohm diesem erschütternden Wissen eine Form – die Marianne Blum mit dem Friedrich-Holländer-Lied "Wenn ich mir was wünschen dürfte" ins Halb-Versöhnliche bricht. Der Applaus, der erst nach einer Zeit des Innehaltens einsetzt, ist groß. Im Namen des gastgebenden Fördervereins der Synagoge würdigt Hartmut Zimmermann die Leistung der beiden Künstler und unterstreicht, dass das Programm viel mehr ist als eine kritische Rückblende: Es sei Mahnung zur Wachsamkeit in Gegenwart und Zukunft. (pm) +++