Tandem-Patenschaftsprogramm der AWO

Wenn aus Fremden Freunde werden: Die Geschichte von Olikeso und Bernd

Bernd (links) und Olikeso (rechts) mit ihren Familien
Fotos: Suria Reiche

17.01.2017 / FULDA - Für Olikeso ist Bernd der "perfekte Mensch". Nicht nur, weil er ohne ihn im deutschen Bürokratie-Dschungel aufgeschmissen wäre, sondern auch, weil Bernd dem Äthiopier etwas gibt, nach dem er sich lange Zeit gesehnt hat. Etwas, das verlorengegangen ist, als er sich vor etwas mehr als einem Jahr gemeinsam mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern auf den beschwerlichen Weg von Afrika nach Europa gemacht hat: Geborgenheit. Die musste Olikeso aufgeben, als er sich dafür entschied, aus seinem Heimatland zu fliehen, um seiner Familie ein besseres Leben bieten zu können. Ein besseres Leben -  ob die Familie das hier in Gläserzell inmitten von zusammengewürfelten und gespendeten Möbeln gefunden hat, weiß sie wohl selbst nicht ganz genau. Aber eins haben sie mit dem Tandem-Patenschaftsprogramm der AWO gefunden: einen guten Freund. 



Im September vergangenen Jahres begann die berührende Geschichte von Bernd und Olikeso: Bernd ist Trainer einer Leichtathletik-Gemeinschaft in Fulda. Und zu dieser wurde Olikeso von einem Nachbarn aus Gläserzell mitgenommen. "Bei uns beiden stimmte von Anfang an die Chemie", sagt Bernd. An einem Infostand der AWO erfuhr der 50-Jährige dann von dem Patenschaftsprogramm und dachte sofort daran, dass er eine solche Patenschaft für den jungen Äthiopier übernehmen könnte. "Das ist ein Weg", sagt Sina Ilchmann, die für das Projekt verantwortlich ist, "aber es gibt auch die Möglichkeit, sich einfach bei uns anzumelden, damit wir einen Kontakt zu einem Geflüchteten herstellen." Dabei wird darauf geachtet, dass die beiden Paten ähnliche Interessen haben, damit die Chemie genau wie bei Bernd und Olikeso stimmt. Geflüchteter und Einheimischer bekommen hier bei der AWO zwar Hilfestellungen, wie sie aber ihre Zeit miteinander verbringen möchten, bleibt ihnen selbst überlassen. Sie können miteinander spielen, Ausflüge unternehmen, gemeinsam Deutsch lernen oder sich gegenseitig bei etwas helfen.

"Es ist schwierig, hier in Deutschland Menschen kennenzulernen", sagt der Äthiopier und zählt drei Namen auf, zu denen er etwas engeren Kontakt hat, "Deutsch ist eine schwierige Sprache. Und eine Arbeitsstelle, bei der ich Menschen kennenlernen könnte, habe ich im Moment nicht." Olikesos Asyl-Antrag läuft noch. Vor gut einem Jahr strandete er gemeinsam mit seiner Familie in Köln. Über das Mittelmeer sind die vier nach Deutschland gekommen. Es folgten Stationen in Gießen und im Main-Kinzig-Kreis. Dann kamen die vier in dem Flüchtlingscamp in der Fuldaer Kaserne unter. Seit ein paar Wochen nun leben sie in einem Haus der AWO in Gläserzell. "Das ist gut. Ich kenne Menschen, die noch immer mit vielen Fremden zusammen leben." Was Olikeso "gut" findet, bereitet seinem Paten Bernd Bauchschmerzen: "Die Bausubstanz ist nicht wirklich gut. Im Schlafzimmer schimmeln die Wände." Deswegen hat er der Familie geraten, fortan nur noch im Wohnzimmer zu übernachten.

"Mit vereinten Kräften können wir aber alles meistern", sagt der 50-Jährige und lächelt seiner Tochter zu, die gerade mit Olikesos Tochter auf dem Arm hereinspaziert kommt. Die Kleine, die eben noch geweint hat, grinst über das ganze Gesicht und klammert sich an die zwölfjährige Lisa. Worte brauchen die beiden Mädchen nicht, sie verstehen sich - auch ohne die Sprache des anderen zu können. "Diese Patenschaft zwischen unseren beiden Familien ist einfach eine kulturelle Bereicherung für beide Seiten", sagt Bernd. Die Freundschaft zu Olikeso gebe sein Leben ungemein viel. Das war zum Beispiel auch so, als er gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern bei der äthiopischen Familie zum Weihnachtsfest eingeladen war. Anders als hierzulande findet das Fest in dem afrikanischen Land am 6. Januar statt und ist somit noch gar nicht so lange her. "Es gab Hähnchenschenkel", erinnert sich Bernd deswegen noch gut.

"Aber anderes zubereitet als die von Bernd", wirft Olikeso ein und holt eine Schublade mit Gewürzen aus der Küche: Zimt, Muskat, Curry, Harissa, Tandoori, Kreuzkümmel ... Was Bernd mit der Bereicherung meint, wird nun klar. Aber auch Oli - so wird der Äthiopier von Bernds Familie genannt - mag die deutsche Küche. Schon oft wurden er, seine Frau und seine Kinder von der Familie Jiptner eingeladen. Manchmal fiel das Gesprächsthema dann auf die Flucht des 27-Jährigen. "Er hat mir viel über die Situation beispielsweise in Afghanistan erzählt. Dinge, die man hier in Deutschland gar nicht so mitbekommt. Und natürlich sprechen wir auch oft über die Flucht der Familie. Über seine Mutter, die in Äthiopien geblieben ist. Aber das fing erst an, als das nötige Vertrauen dafür aufgebaut war. Wenn ich nachfrage, dann sehr vorsichtig." An dieser Geschichte aus Olikesos Leben nimmt Bernd viel Anteil. Sie bewegt ihn. "Und das ist vielleicht auch der Grund, aus dem ich mich engagiere."

Für seine Hilfe, die vielen Behörden- und Arztgänge, die er und seine Frau mit der Familie unternehmen, bekommt Bernd nämlich kein Geld. Aber er bekommt etwas, das noch viel wertvoller ist: Dankbarkeit. Und er erhält Einblicke in ein Leben, das so anders ist als sein eigenes. "Manchmal kennen die deutschen Gesetze keine Gnade. Es gibt Menschen, die in den Akten nur Nummern sind." Umso bewundernswerter findet Bernd es, dass sich Olikeso dadurch nicht aus der Ruhe bringen lässt und nicht "herum jammert". (Suria Reiche) +++

X