Die MITTWOCHS-KOLUMNE
WIELOCH schreibt an (5) … den 3. Oktober

28.09.2016 / REGION - Lieber 3. Oktober,
du solltest das einzig wahre Oktoberfest der Region sein. Ohne Saufgelage, ohne Lederhose und Dirndl, ohne Gegröle im Festzelt. Doch du tust dich schwer. Deine Popularität stürzt ab wie der HSV in der Tabelle. Du verkommst zum inhaltsleeren Feiertag mit Ausschlaf-Garantie. Karfreitag, Christi Himmelfahrt, Fronleichnam lassen grüßen.
So wie bei den meisten nach der dritten Maß Bier die Erinnerungen an die Stunden zuvor verblassen, haben sich bei vielen die Gedanken an den 3. Oktober 1990 in Luft aufgelöst. Der Tag der Deutschen Einheit scheint auch in Osthessen Lichtjahre entfernt zu sein. So weit weg wie wenige Monate zuvor Geisa von Rasdorf, Buttlar von Eiterfeld, Vacha von Philippsthal. Panama, wo die Bananen wachsen, war für uns näher als für die Menschen im thüringischen Grenzgebiet Fulda, Bad Hersfeld oder Hünfeld. „Oh, wie schön ist Panama“ kannten DDR-Bürger nur aus dem Janosch-Buch im Westpaket.
Lieber 3. Oktober, eigentlich ist es so entsetzlich einfach, dir dankbar zu sein. Vor deiner Zeit war es staatlich gewollt, flüchtende Bürger an der Grenze wie Kaninchen zu durchlöchern. Auf Menschen wurde geschossen wie auf Pappfiguren am Schützenfest. Nur wenige Kilometer von uns entfernt. Point Alpha ist stummer Zeuge dieser grausamen Epoche. Die ist glücklicherweise vorbei. Doch die Form der Dankbarkeit vieler im Jahr 2016 irritiert: Sie wählen, zerfressen von Frustration, im Osten und im Westen die AfD. Eine Partei, die keine Skrupel hat, Flüchtlinge an der Grenze abzuknallen. Sind wir dumm? Sind wir vergesslich? Sind wir unfähig, aus unserer Vergangenheit zu lernen?
Mit herzlichen Grüßen
Jochen Wieloch