Expertin Verena ANDERS berichtet
Probleme der Kindeskinder: Das Leben als Kriegsenkel
07.09.2016 / FULDA -
Als Sabine Bode 2004 ihr Buch über „Die vergessene Generation“, nämlich über die Kinder, die während des zweiten Weltkriegs aufwuchsen, veröffentlichte, ahnte sie nicht, welch heftige Reaktionen sein Inhalt bei den Kindern dieser Kinder hervorrufen würde.
Insbesondere die 1960er und 1970er Jahrgänge reagierten auf die Geschichte ihrer Eltern, denn sie leiden an generationsspezifischen Symptomen wie verunsichertem Lebensgefühl, unauflösbar scheinenden Ängsten und Blockaden, innerer Leere, Heimatlosigkeit, Existenzangst, einem geringen Selbstwertgefühl, Bindungsstörungen und anderem mehr.
Diese Symptome sind auf das spezielle Erleben ihrer Eltern und deren darauf folgendem Verhalten zurückzuführen. Sozialpsychologe und Altersforscher Hartmut Radeboldum führte im Jahr 2005 den Begriff „transgenerationale Weitergabe kriegsbedingter Belastungen“ in die Diskussion ein. Das bedeutet, dass schwerwiegende Erfahrungen, die im Krieg gemacht wurden, bewusst oder unbewusst an die Folgegenerationen weitergegeben werden können.
Das Trauma der Kriegskinder (etwa die Jahrgänge 1930 bis 1940) wurde nie aufgearbeitet. Nach dem Krieg war es nicht so selbstverständlich wie heute, mit einem Psychotherapeuten, Psychiater oder Coach das Erlebte zu besprechen und zu versuchen, die seelischen Wunden zu heilen. Zurück blieben Kriegskinder, die als Erwachsene als charakteristisch geltende Reaktionen zeigten, wie Verlustangst, Schuldgefühle, depressive Verstimmungen und emotionale Verschlossenheit.
Für ihre Kinder schufen sie damit unwillentlich eine Atmosphäre der Angst und der Erstarrung. Die verunsicherten Menschen konnten ihren Kindern nur wenig Halt und Orientierung geben. Sie hatten Angst über ihre Gefühle zu sprechen oder nahmen diese gleich gar nicht wahr und zeigten eine entsprechende Gefühlsstarre und -kälte ihren Kindern gegenüber. Viele Kinder der 1960er und 1970er Jahrgänge entwickelten ein latentes und unerkanntes Schuldbewusstsein und fühlten sich im Stillen dafür verantwortlich das immer präsente Leid der Eltern zu lindern. Sie verleugneten eigene Emotionen und Wünsche und verloren so den Bezug zu sich selbst. So erklären sich die Gefühle von Haltlosigkeit und Getriebensein und die Unfähigkeit, sich wirklich von den Eltern abnabeln zu können.
Die Erforschung des eigenen Verhaltens in Bezug auf die Familiengeschichte und die traumatischen Ereignisse der Vergangenheit bringt eine deutliche Verbesserung des Verständnisses für die eigene Rolle und die Ihrer Eltern mit sich. Im Austausch mit anderen Betroffenen wird deutlich, dass es sich bei diesen Symptomen nicht um ein persönliches Problem handelt sondern um generationsspezifische Muster, die man übernommen hat. Dies führt zu einer extremen Entlastung durch die Einsicht: Ich bin nicht alleine mit meiner Geschichte und meinen Erfahrungen. Eine Verbesserung der Beziehung zur Elterngeneration kann möglich werden und die Weitergabe der Traumata an die nächste Generation wird unterbrochen.
• Seminar zum Thema „Kriegsenkel“ mit Verena Anders im forum für neue möglichkeiten in Fulda
Im Seminar begegnen sich Menschen, die generationenspezifische Symptome entwickelt haben. Im Austausch mit anderen erleben wir eine Differenzierung zwischen kollektiven Mustern und persönlichen Befindlichkeiten. Eine Verbesserung der Beziehungen zwischen den Generationen kann möglich werden.
http://www.neue-moeglichkeiten.de/seminare-für-persönlichkeitsentwicklung/kriegsenkel/
• Literatur
– Sabine Bode „Kriegsenkel. Die Erben der vergessenen Generation“
Klett-Cotta | ISBN-13: 978-3608948080
– Sabine Bode „Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen“
Klett-Cotta | ISBN-13: 978-3608947977 +++