Die MITTWOCHS-KOLUMNE

WIELOCH schreibt an (2) ....den verkaufsoffenen Sonntag

Ein persönlicher Brief heute wieder von Jochen Wieloch ...

07.09.2016 / REGION - Hallo unsympathischer verkaufsoffener Sonntag! Ich bin noch an keinem Sonntag verhungert, als es dich in der Barockstadt nicht gab. Für tausende Fuldaer und Menschen aus strukturschwachen Randgebieten wie Frankfurt, Gießen und Würzburg, in denen Lebensmittelgeschäfte und Möbelhäuser Mangelware sind, bist du hingegen mittlerweile der sonntägliche Lebensretter und Sinnstifter. Einheimische und Fremde schieben sich durch Supermärkte, um im familiären Kollektiv den Einkauf von Toilettenpapier, Kaffeefiltern und Raviolidosen zu genießen. Sonntags ein Päckchen Kerrygold Meersalzbutter in den Einkaufswagen zu legen und dann in einer langen Schlange vor der Kasse zu stehen, muss ein unbeschreibliches Gefühl sein. Nicht zu vergleichen mit der Einkaufsemotion an einem Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag oder Samstag.


 Verkaufsoffener Sonntag, du bist für viele pädagogisch wertvoll. Dir gelingt es, dass Erziehungsbeauftragte ihren Nachwuchs vorübergehend vom Computer und Smartphone weglocken – sie lassen ihre Kleinen dafür im Kaufhaus von der Leine. Denn du bietest in Kooperation mit Karstadt, Galeria Kaufhof und Co. für viele die simpelste Form der Freizeitbeschäftigung. „Berieselung aller Sinne“ lautet das Motto. Museum ist dagegen öde: Die Gemälde und Skulpturen darf man nicht kaufen, die Erklärtexte sind länger als SMS. Wandern und Spazierengehen sind monoton und kosten Kraft. Auf Eierhauckberg, Hohe Hölle und Himmeldunk schlummern womöglich keine Pokémons. Das mobile Internet ist hier oben langsam. Und wer hat schon Lust, sich am freien Tag durch die komplexen Spielregeln von „Mensch ärgere Dich nicht“, „Mau-Mau“ oder „Halma“ zu kämpfen? Du beugst auf perfekte Weise der Gefahr der Entschleunigung vor, du minderst das Risiko, sich zu besinnen, zu entspannen, zumindest einem Tag der Woche ein anderes Gesicht zu geben. Auf Krankenschwestern, Ärzte und Polizisten können die meisten sonntags verzichten. Du aber machst Kassierer und Verkäufer zu ihren Helden des Wochenendes.
 Verkaufsoffener Sonntag, du merkst, ich mag dich wie die Sommerlad-Mitarbeiter den Landrat. Wärst du ein Familienmitglied, du wärst mein schwarzes Schaf, ich würde dich meiden oder schikanieren, mich für dich schämen. Aber auch wenn ich dich blöd finde: Ich kann dir keinen Vorwurf machen. Die Menschen lieben dich. Würden sie dich mit Missachtung bestrafen: Du wärst schneller wieder weg als Hitzepickel im Hochsommer. Auch die Medien stehen vor dir alle paar Wochen ehrfurchtsvoll stramm. Riesige Bilderserien veröffentlichen sie von dir. Männer, Frauen und Kinder mit Tüten. Von vorne. Von hinten. Was für einzigartige Motive. Zweibeiner, die sonntags Tüten schleppen, sind andere Tütenträger als die an Dienstagen oder Donnerstagen.
Mein bester Freund nach verkaufsoffenen Sonntagen ist der Montag. Der ist – Achtung, Menschen in Frankfurt, Würzburg und Kassel, exklusive Insider-Information – generell verkaufsoffen. In vielen Geschäften ist es dann so leer wie auf einer Skifreizeit in der Wüste Gobi. Der sonntägliche Bettenkäufer gönnt sich diesen Luxus einen Tag später eben nicht ein zweites Mal. In den Kühlschrank passen halt nur sechs Beutel Milch. Und generell ist wenig los, weil der Montag laut Statistik der Tag mit den meisten Krankmeldungen ist. Das ist der Beweis: Verkaufsoffener Sonntag, du tust den Menschen nicht gut.


Mit herzlichen Grüßen
Dein Jochen Wieloch





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