WIELOCHS WIRRE WELT (134)

Petersberger Kindergarten verschwunden - Milchglas-Neubau für die Landwirte

Kita-Neubau am Rauschenberg (Petersberg)

10.06.2016 / REGION - Er war mit 4,5 Millionen Euro extrem teuer, dazu optisch extravagant und ein absoluter Blickfang. Doch jetzt ist er einfach weg, für immer verschwunden – der Kindergarten am Rauschenberg in Petersberg. Mit seinem bogenförmigen und begrünten Dach, einer Mischung aus der Heimat der Teletubbies und der Behausung der Hobbits, hatten sich die Architekten eine spektakuläre und dementsprechend alles andere als kostengünstige Variante überlegt. Ein Prestigeobjekt für die reichste Gemeinde Europas und das neue Wahrzeichen neben der von überall sichtbaren Liobakirche.



Weil 2014 natürlich niemand ahnen konnte, dass mit Shanaya-Jayden und Horst-Erich im Jahr 2015 zwei Kinder mehr auf die Welt kommen, als dies der gemeindliche Bedarfsplan vorsieht, war die Kita nach zwölf Monaten aus heiterem Himmel zu klein geworden. Kein Problem, bauen wir halt neu, zögerten die Verantwortlichen keine Sekunde. Und im Gegensatz zu den Schildbürgern dachten sie an alles: an Fenster, an Türen, „sogar an Decken und Wände“, erklärt der Bürgermeister stolz. Eine Sache sei ihm allerdings gleich komisch vorgekommen. „Ich hatte da so ein Gefühl, konnte es aber nicht näher defibrieren“, erinnert sich der Rathauschef an die heiße Planungsphase.

Mittlerweile kristallisiert sich der minimale Denkfehler heraus, der bei vielen Bürgerinnen und Bürgern für Kopfschütteln sorgt: „Stellt man einen nicht transparenten Gegenstand vor einen anderen, so wird der hintere teilweise oder komplett verdeckt“, haben Physiker in einem Gutachten analysiert, warum das Schmuckkästchen am Fuße des Rauschenbergs nicht mehr zu sehen ist. „Hinterher hat man immer leicht reden. Aber ganz ehrlich, wie soll man darauf kommen, wir sind weder Architekten noch Wissenschaftler“, lautet das plausible Statement aus dem Rathaus. Die Gemeindevertreter hatten bisher das Zusammenspiel aus Erdkrümmung und Achsenverschiebung des Blauen Planeten für das seltene und nicht selbst verschuldete Kita-Phänomen als Begründung aufgeführt und damit jegliche Kritik von sich gewiesen.

Statt auf ihr Kindergarten-Prunkstück schauen die Petersberger künftig halt auf einen Kasten. Die Online-Enzyklopädie Wikipedia führt diese Stilrichtung bereits als „Petersberger Destruktivismus“ auf und beschreibt diesen als „die Kunst, Schönes effektiv und dauerhaft für viel Geld zu eliminieren und damit nicht mehr mit den Augen, sondern nur noch mit dem Herzen sehen zu können“. Weltmetropolen wie Sydney, Barcelona und Paris haben damit begonnen, der Petersberger Architektur-Revolution nachzueifern. Die Oper von Sydney verschwindet ab Herbst hinter einer Industriehalle für Tierkörperverwertung, die Sagrada Familia wird von einer Kläranlage verdeckt. In der französischen Hauptstadt hat man länger grübeln müssen, um den 324 Meter hohen Eiffelturm zu veredeln. Hier bauen New Yorker Stararchitekten jetzt eine Trockenanlage für Feuerwehrschläuche mit Überlänge.

Im Petersberger Rathaus steht man generell nicht auf dem Schlauch. Im Gegenteil: „Mit der Kita-Erweiterung werden wir die heimischen Landwirte unterstützen.“ Durch den großzügigen Einbau von Milchglas-Fenstern… (Jochen Wieloch) +++

Kinderparadies mitten im Grünen



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