Wie verändert Terror die Gesellschaft?

Innenminister Peter BEUTH warnt: "Wir müssen mit Anschlägen rechnen"


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19.05.2016 / WIESBADEN - Im Englischen gibt es das Wort "fear" für Angst, die sich immer auf etwas Konkretes bezieht. "Die unspezifische Angst, die sich in den letzten Monaten in der Gesellschaft etabliert hat, gibt es nur im Deutschen", sagt Prof. Dr. Rolf van Dick, Sozialpsychologe an der Goethe-Universität Frankfurt. Die Terroranschläge in Istanbul, Paris und Brüssel - also in unmittelbarer Nähe zu Deutschland - haben ein Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung ausgelöst, welches nicht messbar ist. Wie verändert die Gefahr des Terrorismus die Gesellschaft?

Angst sei zunächst etwas funktionales, um das Überleben zu gewährleisten. "Problematisch wird es dann, wenn Angst den Alltag beeinflusst und lähmt", erklärt der Sozialpsychologe. Elf Prozent der Deutschen hätten am meisten Angst vor Terror - "selbst in den angegriffenen Ländern wie Frankreich und Belgien liegt dieser Wert bei drei oder vier Prozent." Sind wir Deutschen ein ängstliches Volk, das sich von der Situation zu sehr beeinflussen lässt?

Dieser und weiterer Fragen wollten Hessens Innenminister Peter Beuth, Rolf Tophoven, Terrorismusexperte vom Institut für Krisenprävention (Essen), Gerhard Bereswill, Polizeipräsident Frankfurt, Prof. Dr. Friedhelm Hufen, Staatsrechtler an der Gutenberg-Universität Mainz, Prof. Dr. Albrecht Fuess, Islamwissenschaftler an der Philipps-Universität Marburg und eben Rolf van Dick beim Frühjahrsgespräch im Innenministerium in Wiesbaden auf den Grund gehen. "Die Frage lautet nicht mehr ob, sondern wann", fand Peter Beuth klare Worte, "die Bedrohungslage in Hessen ist genauso groß wie in ganz Deutschland. Wir müssen mit Anschlägen rechnen."

Laut Terrorismusexperte Rolf Tophoven habe der Terror eine neue Dimension erreicht: "Es geht um Massenvernichtung, nicht mehr um gezielte Morde an Politikern oder Firmenchefs wie zur RAF-Zeit. Die Terroristen versuchen, ein System aus Angst zu bauen." Hessen sei mit dem gigantischen Flughafen in Frankfurt nach Berlin ein zweites denkbares Anschlagsziel. Die unspezifische Angst hinterlässt natürlich auch Spuren bei den Bürgern. "Direkt nach den Anschlägen von Paris und Brüssel gab es plötzlich hunderte Hinweise für mögliche Attentate", erzählt Frankfurts Polizeipräsident Gerhard Bereswill, "wir sind froh, wenn die Bürger mitarbeiten, aber wird zu oft Feuer gerufen, holt irgendwann niemand mehr die Feuerwehr - die Verunsicherung in der Bevölkerung ist deutlich zu spüren."


Was gibt es zu tun? Mehr Polizeipräsenz? Mehr Überwachungskameras? Mehr Überwachung von Mails und anderen privaten Daten? Peter Beuth sagt "ja": "Viele begreifen die aktuelle Lage nicht. Die Gefahr ist reell, und deshalb sollten wir unsere Schutzbehörden auch in die Lage versetzten, uns zu schützen." Staatsrechtler Friedhelm Hufen ist das zu wenig, um in Menschenrechte einzugreifen. "Eine abstrakte Gefahr reicht nicht aus, um eine konkretes Gesetz zu verändern." Die Macht des Staates müsse begrenzt bleiben, um keine zweite Weimarer Republik zu ermöglichen.

Eine wirkliche Antwort oder eine Lösung der komplexen Problematik hatte keiner der Experten auf dem Podium. Einig waren sich aber alle, dass man sich von diesem "Unsicherheitsgefühl" nicht einengen lassen solle. "Dann haben die Terroristen ihr Ziel erreicht, wenn uns die Angst lähmt", hieß es unisono. (Julius Böhm) +++


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