WIELOCHS WIRRE WELT (131):
Datenschutz-Dilemma: Gratulationsverbot für Bürgermeister- Kamera-Attrappen im Rosenbad
13.05.2016 / REGION -
Bad Hersfelds Bürgermeister Thomas Fehling hatte es schon Anfang April im Bürgerservice-Portal der Lullusstadt bedauert: Glückwunschkarten und Gratulationen vom Bürgermeister oder Stadtverordnetenvorsteher an ältere Bürgerinnen und Bürger, die keinen runden Geburtstag feiern, sind neuerdings nicht mehr erlaubt. Schuld ist das neue Bundesmeldegesetz, wonach Gratulationen erst ab dem 70. und zu jedem weiteren fünften Geburtstag gestattet sind. Ab 100 sieht die Welt besser aus, dann darf der Bürgermeister jährlich auf der Matte stehen.
Wieder mal bewahrheitet sich auf sympathische Weise das alte Sprichwort: andere Länder, andere Sitten! Während im Iran das Steinigen gesetzlich verankert ist, wird in Deutschland bis auf wenige Ausnahmen das Gratulieren zum Geburtstag von oberster Stelle aus verboten. Was auf den ersten Blick relativ unbedeutend erscheint, stellt bei genauerer Betrachtung für Rathauschefs aber ein ernstes Problem dar. Die überbrachten den Rentnern bisher ja schließlich keine persönlichen Glückwünsche, um sich von der letzten Hüft-OP und der Reha im Schwarzwald berichten zu lassen, sondern um sich mit dem netten Foto von der Blumenübergabe als Alternativmotiv zum Spatenbild in der Presse wiederzufinden. Das Gratulationsverbot an unrunden Geburtstagen trifft die Bürgermeister deshalb hart und wird so manche Karriere abrupt beenden.
Aber es kommt noch viel schlimmer: Kollidiert das Bundesmeldegesetz mit anderen – nennen wir sie mal Datenschutzproblematiken –, so ist das Chaos vorprogrammiert. Beispiel: Eine 93-Jährige wird beim Klauen im Fuldaer Rosenbad von vier Zeugen beobachtet und von einer der 32 Videokameras erfasst. Darf der alarmierte Polizeibeamte, der die Aufnahme auswertet, die Dame ob ihrer vermeintlichen Tat mit auf die Wache nehmen?
Das heißt im Klartext: Völlig egal, ob im Becken ein 71-Jähriger einen Schwächeanfall oder eine 95-Jährige einen Herzinfarkt erleidet – die Senioren können sich sicher sein, beim Absaufen nicht beobachtet zu werden. Einzige gute Nachricht für die 95-Jährige: Im Gegensatz zum 71-Jährigen darf ihr der Bürgermeister ein Kondolenzkärtchen schicken. Hierzu herzlichen Glückwunsch! (Jochen Wieloch) +++