WIELOCHS WIRRE WELT (120)

Wahlkampf 2016: Bei Orthopäden, Dermatologen und Proktologen ist die Hölle los



26.02.2016 / REGION - Der Kommunalwahlkampf in Osthessen geht in die heiße Phase – und hinterlässt Spuren. Versuchen Sie zurzeit mal einen Termin bei einem Arzt zu bekommen. Ein beinahe aussichtsloses Unterfangen. Praxen und Notaufnahmen platzen aus allen Nähten. Den Wahlkämpfern sei Dank. Gestern Nachmittag beispielsweise beim Orthopäden. Hier belagert die komplette CDU-Gemeindevertretung aus Petersberg das Wartezimmer: „Fünf Jahre lang permanentes Nicken hat zu schmerz-haften Fehlbildungen und Haltungsschäden geführt“, jammern die Freizeitpolitiker, denen es schon vor der Wiederwahl graut. Im Behandlungsraum nebenan liegen acht Spitzenbewerber aus der Region mit ganz unterschiedlicher Parteizugehörigkeit auf Pritschen: Sie alle haben sich mit Spaten zum Teil schwere Fußverletzungen beim Nachstellen der beliebten und durchaus medienwirksamen Buddelbilder in irgendwelchen gefrorenen Erdlöchern zugezogen.



„Bis zu 35 Kandidaten habe ich momentan täglich am Behandlungs-stuhl“, erklärt ein Kieferchirurg aus der Barockstadt. Der Grund ist simpel: „Der normale menschliche Kiefer ist für monatelanges Dauergrinsen einfach nicht konzipiert.“ Richtig was los ist bei den osthessischen Allergologen erst im Endspurt des Wahlkampfs, speziell nach den Wochenenden. „Einige Bewerber verteilen samstags in den Innenstädten bis zu 15.000 Rosen. Nicht wenige reagieren darauf mit Atemnot, Hautausschlägen und schmerzenden Kontaktekzemen“, kennt Dr. Bob die Auswirkungen. Andere politische Rosenkavaliere landen direkt in der Notaufnahme. „Speziell Erstwählerinnen lassen es sich nicht mehr gefallen, wenn sie von älteren Semestern mit einem billigen Rosengewächs angebaggert und um ihre Stimme am Wahlsonntag gebeten werden“, beschreibt Parteienforscher Prof. Jürgen Falter ein beliebtes Phänomen. Diese „Willst du diese Rose“-Nummer klappe beim „Bachelor“ auf RTL, nicht aber am Uniplatz in der Barockstadt.

Nicht nur in diesen Tagen, sondern kontinuierlich das ganze Jahr über drängeln sich Kommunalpolitiker in die Praxen von Dermatologen. „Es ist schon erstaunlich, was viele von denen für ein dickes Fell haben“, berichtet ein Fuldaer Hautarzt aus eigener Erfahrung. Um auf Nummer sicher zu gehen und Folgekrankheiten auszuschließen, würden die Patienten einem animalischen Gentest und einer Tollwut-Diagnose unterzogen.

Besonders viel Stress haben momentan die Hals-Nasen-Ohrenärzte. „Jeder zweite Bewerber für ein Gemeindeparlament kommt zu mir ohne Stimme und ist komplett heiser“, stellt ein heimischer Facharzt fest. Teilweise redeten die Kandidaten in diesen Tagen rund um die Uhr, auch im Schlaf und auf der Toilette. Oft sei extrem viel Überzeugungsarbeit gefragt. „Warum beispielsweise sollte einen plötzlich der Nachbar wählen, den man im vergangenen Herbst noch angezeigt hatte, weil drei Äpfel über die Grundstücksgrenze hinweg baumelten?“, fragt Parteienforscher Falter. Bis zu 1.500 Hausbesuche stünden deshalb auf der Tagesordnung der erfolgreichsten Kommunalpolitiker, die im Wahlkampf pro Kopf knapp 100 Kilogramm Emser Pastillen verzehren.

Noch ein Tipp zum Schluss für Sie, wie Sie ganz einfach Kandidaten auf vorderen Listenplätzen von Kandidaten unterscheiden können, die auf hinteren Listenplätzen herumdümpeln. Letztere treffen Sie beim Orthopäden. Jahrelanges Buckeln, Verrenken und Verbiegen führt zu Folgeschäden. Die Spitzenkandidaten hingegen sind alle beim Proktologen: Ständige Arschkriecherei ist auf Dauer auch nicht angenehm. (Jochen Wieloch) +++

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