WIELOCHS WIRRE WELT (111)

Achtung: Falsche Ordnungshüter beschlagnahmen geschmückte Christbäume


Montage: Nicole Wagner

25.12.2015 / REGION - Frohe Weihnachten! Wenn Sie gedacht haben, dass der erste Weihnachtsfeiertag ruhig und entspannt verläuft, dann haben Sie sich gewaltig getäuscht. In den meisten osthessischen Haushalten fängt der Stress jetzt erst an. Der Grund: Um während der Bescherung an Heiligabend mehr Platz für Geschenke im Wohnzimmer zu haben, stellen viele den Baum erst heute auf. Auf der Agenda steht allerdings nicht nur das Schmücken, sondern auch das Besorgen einer geeigneten raumhohen Nordmanntanne. Weil die Präsente für die Lieben schon vierstellige Summen bei attraktiver Null-Prozent-Finanzierung verschlungen haben, fiel der Weihnachtsbaum den Sparmaßnahmen zum Opfer. Trotzdem darf er nicht fehlen.



Am Vormittag des 25. Dezember holen deshalb viele Fuldaer ihre Faschingsuniform aus dem Schrank, erstellen sich im Kartoffeldruck einen Dienstausweis und klingeln verkleidet bei ihren Nachbarn. „Guten Morgen, Ordnungsamt Fulda, ich müsste bitte einen Blick auf Ihren Weihnachtsbaum werfen.“ Mit dieser arglistigen Begrüßung verschaffen sich Familienväter Zutritt in die Stuben ihrer Kumpels und Bekannten, bei denen sie im kommenden Sommer die Fußball-EM schauen möchten. „Wie befürchtet, Pilzbefall. Der Baum ist beschlagnahmt. Ich kann Ihnen aber anbieten, den umsonst zu entsorgen“, lautet das kulante Angebot. Je nachdem, wann die Verwandtschaft anrückt und ob noch Zeit zum Schmücken bleibt oder nicht, sind nur Stamm und Nadeln kontaminiert oder eben auch Kugeln, Lametta und sogar der Ständer.

Nach dem jüngsten Schirm-Skandal in der Barockstadt bleiben den Betroffenen verbale Entgleisungen im Halse stecken. Man bedankt sich für den Einsatz am Feiertag, drückt dem Ordnungshüter aus Dankbarkeit ein Scheinchen in die Hand und trägt die liebevoll dekorierte Nordmanntanne vor die Haustür. Jetzt steht dem sehnsüchtig von seinen Daheimgebliebenen erwarteten Familienvater der schwierigste Part bevor: Unerkannt vor den Blicken seiner Nachbarn muss er deren Weihnachtsbaum ins eigene Wohnzimmer schleppen.

Neben diesem Szenario hat sich bei geschmückten Bäumen in Vorgärten eine beliebte zweite Variante durchgesetzt. Auch jetzt klingelt der falsche Ordnungshüter an der Haustür, macht sich jedoch eine andere Argumentation zunutze: „11.41 Uhr, Ihr Weihnachtsbaum im Bereich der Außengastronomie ist immer noch nicht hochgeklappt. Den muss ich leider mitnehmen.“ Der Nachbar könnte eventuell Verdacht schöpfen, wenn in solch einer ernsten Angelegenheit nur ein städtischer Mitarbeiter und nicht gleich sieben bis acht wie in vergleichbaren Fällen ausrücken. Aber der glaubhafte Hinweis, dass die Kollegen gerade in einem anderen Stadtteil wegen zu viel Lametta am Baum ermitteln, dürfte weitere Nachfragen im Keim ersticken. Deshalb: raus mit der Motorsäge und ab mit der neun Meter hohen Konifere.

Keine drei Stunden später kommen die eben noch unwissentlich beklauten Nachbarn zum Kaffeetrinken vorbei. „Wow, habt Ihr dieses Jahr aber einen hübschen Baum“, loben diese das grüne Prachtexemplar bereits aus der Ferne überschwänglich. „Handbemalte Kugeln aus Rödentaler Glas“, nimmt die Ehefrau die Dekoration näher unter die Lupe. „Ein Ständer aus mattiertem Edelstahl mit Buchenfüßen, ganz schwer zu kriegen“, wird ihr Göttergatte misstrauisch. „Mundgeblasene Christbaumspitze in Regentropfen-Technik, Modell Nostalgia by Christoball“, traut sie ihren Augen nicht. „Limitierte Weihnachtsgurken aus Murano-Glas mit unseren Initialen“, wird er stutzig und plärrt los. „Ihr serviert Euren Kaffe in Plastikbechern und den Penny-Kuchen auf Papptellern, aber leistet Euch sündhaft teuren Designer-Christbaum-Schmuck? Ihr verlogenen Vollpfosten!“ – „Sesselfurzer!“ – „Oberheinis!“

Es klingelt. Ein diesmal echter Ordnungshüter steht vor der Tür. Im Gepäck: eine Anzeige wegen Ruhestörung. „Armleuchter! Bratwurst! Teflongesicht!“, sind sich die beiden Familien wieder einig und stoßen an. „Frohe Weihnachten“, umarmen sich die Streithähne. „Der Christbaum-Schmuck war von meiner Tante. Potthässlich. Ich bin heilfroh, dass er weg ist“, gesteht die Nachbarin und nimmt einen tiefen Schluck aus dem Plastikbecher. (Jochen Wieloch) +++

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