WIELOCHS WIRRE WELT (110)
Weil die Rathaustreppe zu steil ist: Haunestadt darf sich ab sofort „Bad Hünfeld“ nennen
Foto und Grafik: Nicole Wagner
18.12.2015 / REGION -
Die Zeit der Rampensäue war in Hünfeld eigentlich vorbei. Doch jetzt bereiten in der Haunestadt Rampen an der neuen knapp 530.000 Euro teuren Rathaustreppe Ärger, die eigentlich barrierefrei hatte konstruiert werden sollen: Mit einer Steigung von 39 Prozent sind diese nach Angaben der „Hünfelder Zeitung“ so steil ausgefallen, dass Rollstuhlfahrer keine Chance haben, von A nach B zu gelangen.
Zum Vergleich: Die berühmteste und schwierigste Abfahrtsstrecke der Welt, die legendäre Streif bei Kitzbühel, kommt im Durchschnitt lediglich auf ein Gefälle von 27 Prozent. Das reicht aus, damit die Skifahrer Geschwindigkeiten von bis zu 145 Stundenkilometer erreichen. Über dieses Tempo können die Hünfelder nur müde lächeln. Rad- und Rollstuhlfahrer werden bei der Nutzung der Rampen so schnell, dass Einsteins Spezielle Relativitätstheorie greift: Wer in der Bahnhofstraße ankommt, ist jünger als zum Startzeitpunkt in der Kaiserstraße. Experten sprechen in diesem Zusammenhang vom Phänomen der Zeitdilatation. Bürgermeister Stefan Schwenk beispielsweise, der zur Einweihung die Rampe per Zweirad bewältigt hatte, wurde im Ziel feierlich mit „Hallo, Vizelandrat Frederik Schmitt“ begrüßt. Eine junge Mutti mit Kinderwagen war nach ihrer rasanten Abfahrt gar wieder im siebten Monat schwanger. Astronauten belagern zurzeit die Zuse-Stadt, um unter den extremen Bedingungen der Schwerelosigkeit zu trainieren.
Ob dieser einzigartigen Möglichkeit der Verjüngungskur darf sich die Haunestadt seit Montag „Bad Hünfeld“ nennen. Der Magistrat hat sich umgehend mit der Stadt Bühl in Verbindung gesetzt, um sich die Rechte am Auto-Kennzeichen „BH“ zu sichern. Hünfelds Bürger lehnen dies jedoch mehrheitlich ab: „Sonst denken ja alle, wir kommen aus Buxtehude.“ Im Schatten dieser Diskussion erreichen täglich hunderte Busse mit tausenden alten und gebrechlichen Menschen Hünfeld, was zunächst am Stadtbild nichts ändert. Bis zu fünf Stunden stehen die ob ihrer Optik bzw. ihres Alters verzweifelten Zeitgenossen Schlange und berappen bereitwillig jeweils 25 Euro, um einmal in den Genuss der Zeitreise zu kommen. Mit großem Erfolg: Mario Adorf etwa verkörpert nächsten Sommer im Fuldaer Schlosstheater den jungen Hauptdarsteller im Musical „Der Medicus“.
Trotz aller Euphorie über die Wundertreppe ist einer mit dem Projekt alles andere als zufrieden. „Als Bürgermeister von Hünfeld sollte man sich über 39 Prozent schämen“, mosert Pensionär Eberhard Fennel. Er plant deshalb ein neues Konstrukt mit Rampen für Radfahrer und Rollstuhlfahrer mit einem Gefälle, das seinen eigenen hohen Ansprüchen als früherem Rathauschef gerecht wird: „90 Prozent plus X, alles andere ist für einen CDU-Politiker in der Haunestadt ein Witz.“ (Jochen Wieloch)+++