"Das Boot ist nicht voll"
Gegen den Trend: Miteinander statt Gegeneinander am Hof Reith
Fotos: Toni Spangenberg
07.12.2015 / SCHLÜCHTERN -
Die Flüchtlinge erhalten zu viel Geld, sie würden Wohnraum wegnehmen - nur zwei der Vorwürfe, die in der Gesellschaft anscheinend noch immer vorherrschen. "Alles Missverständnisse", stellte Landrat Erich Pipa am Montag bei der Einweihung des Flüchtlingsunterkunfts-Anbau am Hof Reith in Schlüchtern klar. "Das Boot ist noch nicht voll. Wir müssen nur selbst aktiv werden. Alle tragen die Verantwortung", so der Landrat. Das Volk sei dazu verpflichtet, Menschen in Not Obdach zu geben, nicht zuletzt auch als christliche Moral. Dabei wies Pipa auf die Wichtigkeit hin, die Bürgerinnen und Bürger wahrheitsgemäß zu informieren und nicht zu verschrecken. Deswegen sollen Maßnahmen künftig präziser formuliert werden. So gebe es eine Pauschale von 1.000 Euro pro Monat, die Flüchtlinge bekämen davon pro Monat jedoch nur 352 Euro und nicht, wie von Gegnern vermutet, 900 Euro.
Gemeinsam sollen finanzielle Mittel geschultert werden, gemeinsam sollen sowohl Wohnungen für Flüchtlinge gefunden werden als auch preisgünstiger Wohnraum für die bereits hier lebenden Bürgerinnen und Bürger. "Wenn alle EU-Staaten bei der Verteilung mitmachen würden, hätten wir kein Problem. Wir dürfen nicht den Fehler wie 1992/1993 begehen, wo es zu politischen Verwerfungen kam", betonte Pipa und erntete dafür Beifall. Keine Widerstände, keine Übergriffe. Das bunt gemischte Publikum hilft sich gegenseitig.
Als einer der Flüchtlinge versucht ein Foto zu machen, wegen der dicht aneinander gedrängten Anwesenden jedoch nicht durchkommt, zögert ein hochgewachsener Mann keine Minute, nimmt dem Asylbewerber lächelnd das Handy aus der Hand und schießt für ihn das Foto. Sprachbarriere? Hier kein Problem. "Ich verlange die Solidarität aller Städte und Gemeinden. Es handelt sich um Menschen und nicht um Kanaken oder Schmeißfliegen", so die klaren Worte des Landrats. Integration gelinge zudem nur, wenn Leute das Geld in die Hand nehmen würden. Eine erste Maßnahme hierfür sei der Sprachunterricht.
Auch einer der Bewohner des Hauses, Sami Mukhtar Jaberti, kam zu Wort und berichtete stolz über seine ehrenamtliche Arbeit als Krankenpfleger. Ein Beispiel dafür, dass die Bereitschaft der Flüchtlinge zu arbeiten vorhanden ist. Seit 2013 lebe Jaberti am Hof Reith. Seit kurzem habe er sogar eine Aufenthaltserlaubnis. Welche Zukunftswünsche ein junger Mann hat, der sich in Deutschland ein neues Leben aufbaut? "Vertrauen und Geduld", so der 22-Jährige.
Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung von der Big Band des Ulrich-von-Hutten-Gymnasium (UvH) Schlüchtern. Mit ihrer Version von Aretha Franklins "Respect" verdeutlichten sie, was sich in den Köpfen aller Menschen verankern sollte.
Der letzte Höhepunkt des Nachmittags war die symbolische Schlüsselübergabe. Im Anschluss bestand noch die Möglichkeit, sich bei einem kleinen Imbiss auszutauschen. (Helena Lemp) +++