Es war einmal ... (2)
EITRA ...ein kleines Dorf auf der großen Handball-Bühne
Fotos: Tobias Herrling
17.11.2015 / HANDBALL -
Wer erinnert sich nicht an Gerd Müllers goldenes Tor 1974? Oder an Boris Beckers historischen Sieg in Wimbledon? Sportliche Höhepunkte, die in die Geschichte eingingen. Doch nicht nur auf der großen Bühne des Sports, sondern auch im Kleinen gibt es Momente, die mehr oder weniger präsent im Bewusstsein sind. "Es war einmal ..." ist eine Rubrik, die verblasste Erinnerungen an besondere Ereignisse oder Veranstaltungen wecken soll. Im zweiten Teil unserer Serie geht es um den TV Eitra, der Mitte der 90er Jahre Handbal-Geschichte geschrieben hat.
Ein 380-Einwohner-Dorf in der höchsten Handball-Liga des Landes? Was völlig utopisch klingt, war für drei Jahre Realität. Der TV Eitra, ein kleiner Verein der Gemeinde Hauneck (Landkreis Hersfeld-Rotenburg), sorgte Mitte der 90er Jahre bundesweit für Schlagzeilen. Die Handballer des TVE spielten insgesamt für drei Spielzeiten in der 1. Bundesliga – ein Novum in der Geschichte des deutschen Handballs. „Das hat es vorher nicht gegeben und wird es wahrscheinlich auch nicht mehr geben. Wir haben Handball-Geschichte geschrieben“, sagt Reinhard Sendler, Ehrenvorsitzender des TV Eitra.
Das entscheidende Jahr, in dem der Handball in Eitra zu neuen Ufern aufbrach, war 1983. Der TVE spielte seinerzeit auf Bezirksebene und war weit entfernt von einer Ära im hochklassigen Handball. Heinz Koch, ein zugezogener Unternehmer, hatte die Vision, den Sport in der Region attraktiver zu machen. Seine Worte fanden bei Heinrich Wiegand Gehör, es wurde ein Förderkreis mit Eckhard Gilbert und Rainer Birkel gegründet, um die Möglichkeiten des kleinen Vereins auszubauen. Mit Gönner Koch und Wiegand im Rücken zog der Verein namhafte Spieler wie Ulrich Faber, Pavel Dyzman, Manfred Scholz und Rückkehrer Gerald Birkel an Land und schaffte mit einer Mischung aus einheimischen und auswärtigen Spielern den Durchmarsch aus der Bezirks- in die Oberliga.
Um den Spielbetrieb und die Organisation zu gewährleisten, war das ganze Dorf auf den Beinen. „Alle haben mit angepackt, aufgebaut und abgebaut. Das war ein einmaliger Zusammenhalt. Das ganze Dorf hat den Handball unterstützt, es war eine Handball-Familie“, erzählt Reinhard Sendler. Am Freitagabend wurde begonnen, die Halle herzurichten, beispielsweise mussten Zusatz-Tribünen hinter den Toren und eine Verlängerung der vorhanden Tribüne aufgebaut werden. Erst am Sonntagmittag, wenn alles wieder abgebaut war, war Feierabend. „Ohne dieses ehrenamtliche Engagement wäre das neben den finanziellen Mitteln nicht zu stemmen gewesen“, erzählt Sendler über die große Rolle der Dorfgemeinschaft.
Es folgte 1993 der Abstieg, der unter dem neuen Trainer Hrvoje Horvat umgehend korrigiert wurde. 1994 spielte der TV Eitra erneut für eine Saison in der Bundesliga, an deren Ende der erneute Abstieg stand. Bis 1997 hielt sich Eitra noch in der 2. Bundesliga, dann folgte der finanzielle Einbruch. Sponsoren sprangen ab, Zusagen wurden nicht eingehalten – es folgte der Absturz. Der Verein, er wurde gar aufgelöst und erst 2004, nachdem es für sieben Jahre den TSV Eitra gab, wieder gegründet. Eine bewegende und beinahe unglaubliche Geschichte eines kleinen Vereins, der für einige Zeit eine bedeutende Nummer im deutschen Handball war. (Tobias Herrling) +++