Einkaufen, genießen und in Erinnerungen schwelgen

Verkaufsoffener Feiertag als "Fest der Einheit" - Massen durchfluten Kreisstadt



04.10.2015 / BAD HERSFELD - Ob ein verkaufsoffener Feiertag der Würde des Tages der Deutschen Einheit angemessen ist, kann konträr diskutiert werden. In Bad Hersfeld hat der Stadtmarketingverein auf jeden Fall ein gutes Gespür bewiesen, indem er dieses Angebot an die Kunden in ein Fest der Einheit mit vielen „staatstragenden“ Aktionen eingebunden hat. „Ja, ist denn schon Lolls“ hätte man angesichts der Menschenmassen in der Fußgängerzone fragen können. Offensichtlich nutzten viele kauflustige Bürgerinnen und Bürger aus Bad Hersfeld, der Region und weit darüber hinaus den freien Tag, um ohne Zeitdruck durch die Gassen zu flanieren, in Erinnerungen an die Ereignisse vor einem Vierteljahrhundert zu schwelgen, sich von dem vielfältigen Angebot der Geschäfte inspirieren zu lassen und mit ihren Einkäufen die deutsche Wirtschaft anzukurbeln.

Jeder, der diese spannende, berührende Zeit im damaligen Zonenrandgebiet rund um den Mauerfall am 9. November 1989 bis zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten und darüber hinaus hautnah miterlebt hat, freute sich seinerzeit über die bonbonfarbenen Trabis, die in Endlosschleife über die Landstraßen und Autobahnen knatterten und auch in der Stadt Bad Hersfeld, die besonders im Mittelpunkt der damaligen Ereignisse stand, Station machten. Zum Fest der Einheit wurde Ostalgie lebendig, denn zahlreiche Privatbesitzer stellten am Linggplatz und vor dem Rathaus ihre liebevoll gehegten Zweitakter aus. Die meisten stolzen Besitzer kamen aus Thüringen, aber auch ein Trabi mit Hersfelder Kennzeichen und sogar eine schwarz-rote, liebevoll gepflegte Rennpappe aus der Schweiz kommend, wurden bewundert.

André Greifzu, der bis 1999 seinen Trabi gefahren hat, nutzte im Jahr 2009 die Gelegenheit, einen damals noch bezahlbaren Barkas B 100 zu erwerben und aufzubauen. „Das ist unser Sommerauto“, betont seine Frau Dana, die ihren Mann gern zu verschiedenen Trabi-Treffen überwiegend in Thüringen begleitet. Der zwischen 1961-1991 gebaute 8-Sitzer wurde in der damaligen DDR privat höchstens von kinderreichen Familien gefahren, ansonsten stand dieser Fahrzeugtyp auch als Pritsche oder Leiterwagen der Feuerwehr, der NVA oder für medizinische Hilfsfahrten zur Verfügung. „Gute 90, manchmal läuft er auch 100“, erläutert André Greifzu die mögliche Höchstgeschwindigkeit.

In der Breitenstraße, die an diesem besonderen Tag kurzerhand in Karl-Marx-Platz umbenannt wurde, war rund um „Sauers-Garten“ das Zentrum des Geschehens. Dieter Jung aus Ludwigsau-Tann und sein Kreativ-Team haben ein gutes Händchen bei der Gestaltung bewiesen und besonders mit der Kaufhalle voller Ostprodukte einen Volltreffer gelandet. Hier fand auch der Hauptteil des Aktionsprogrammes zum Fest der Einheit statt. Auf der Bühne spielten die „Earl Dudley Jazz Band“ aus Fulda und das „Musikalische Einsatzkommando MEK“ aus Weimar für ihr begeistertes Publikum. Mit typischer Dixie-, Jazz- und Swingmusik marschierten beide Band danach durch die Innenstadt und trafen sich zum Abschluss auf der Bühne zu einer gemeinsamen Session.

In einer von HZ-Reaktionsleiter Kai A. Struthoff moderierten Talkshow erzählten Zeitzeugen, wie sie die Grenzöffnung erlebt haben. Als Gesprächspartner standen die heimischen Urgesteine Henner Göbel mit seinem schier unglaublichen Wissen über die ältere und jüngere Geschichte seiner Heimatstadt Bad Hersfeld, Reinhard E. Matthäi, der stellvertretende Kreisvorsitzende des DRK Hersfeld, und Bebras ehemaliger Bürgermeister Horst Groß, der beim Mauerfall als Bundesgrenzschützer tätig war, zur Verfügung.

Die Frage, ob unsere Region wirklich einst der heißeste Punkt des Kalten Krieges war, beantwortete Volker Bausch, Direktor der Gedenkstätte Point Alpha: „Es war nicht der heißeste Punkt, sondern einer der heißesten Punkte“. Fulda-Gap, die Lücke zwischen Hessen und Thüringen, war allerdings die gefährlichste Stelle im Kalten Krieg, ein militärisch hochsensibles Gebiet, in dem bei einem Dritten Weltkrieg Nuklearwaffen zum Einsatz gekommen wären. Die Grenzöffnung und die Wiedervereinigung hat Volker Bausch nur aus der Ferne erlebt. Als er 1991 nach acht Jahren Berufstätigkeit in Chile zurückkam, „war Deutschland ein anderes Land“.

Ebenfalls Mitglied der Talkrunde war Rainer Osmann, Ex-Handballspieler bei der BSG Motor Eisenach. Nach eigener Handballkarriere wurde er Coach und trainierte bis 2011 die deutsche Frauennationalmannschaft. Eine Grenzgängerin ist Kerstin Staudtmeister, heute Ausbildungsleiterin im Werk Werra der K+S Kali GmbH. Als die Mauer fiel, war sie 22 Jahre alt, verheiratet und Mutter. Die Grenzöffnung ermöglichte ihr, in einem zweiten Studium den gewünschten Studiengang zu wählen und sich damit selbst zu verwirklichen. Auch der neue Landrat des Landkreises Hersfeld-Rotenburg, Dr. Michael Koch, der sowohl im Westen und Osten studiert und beruflich Karriere gemacht hat, stellte sich den Fragen. Er ist außerdem mit einer Ostdeutschen verheiratet, die er allerdings in Bayreuth kennengelernt und mit der er Familie gegründet hat.


Dr. Michael Koch wäre somit auch ein passender Kandidat für die sich anschließende Spielshow „Wetten, dass…“ gewesen. Stefan Pruschwitz, Geschäftsführer des Stadtmarketingvereins, wettete, dass sich mindestens 25 deutsch-deutsche Ehepaare dem Wettbewerb stellen. Jedes erschienene Paar erhielt nicht nur einen Einkaufsgutschein, sondern hatte auch die Chance auf den Hauptgewinn: 275 Euro für einen Einkauf im Modehaus Sauer.

Einen Grund zum Feiern hat auch das Mode-Zentrum Sauer, ein Familienunternehmen mit zwölf Filialen und Stores und 50.000 Stammkunden. Das Familienunternehmen Sauer wurde im Jahr 1740 von Johan Ritter Sauer gegründet. Heute steht die Sauer Modehandels GmbH bereits in der 9. Generation mit Martin Knauff an der Spitze für Mode, Erlebnis und Lebensgefühl. Hier konnte am Tag der Deutschen Einheit sogar mit DM-Scheinen bezahlt werden.

Eine ganz besonderes kulinarisches Angebot, passend zum Tag der Deutschen Einheit, boten die Profi-Griller vom “Grillfürst Megastore“ Bad Hersfeld an ihrem Grillstand auf dem Linggplatz an. Hier konnte der geschmackliche Unterschied einer Thüringer und einer Hessischen Bratwurst gratis getestet werden. Auch durch dieses Geschmackserlebnis wollte sich das Gefühl von damals nicht einstellen, dafür hinterlässt das Bad Hersfelder Fest der Einheit mit der Möglichkeit, entspannt einzukaufen, ein durchaus gutes Gefühl. (GUDRUN SCHMIDL) +++

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