„Keine Angst vor dem digitalen Tsunami“

Industrie-4.0: Der Mensch steht weiterhin im Mittelpunkt

Referenten und Moderatoren unter sich: (von links) Dr. Kai Blanck, Stefan Schunck, Manfred Hahl, Prof. Oliver Koch, Dr. Frank Breitenbach, Bernhard Juchheim, Michael Frohnapfel, Christian Vey und Christoph Burkard

30.03.2015 / FULDA - „Welche Rolle nimmt der Mensch im Industrie 4.0 – Zeitalter ein?“, war eine Frage, die die gut 60 Teilnehmer des Industrie 4.0 – Workshops des Engineering-High-Tech-Cluster-Fulda e.V. den Referenten immer wieder stellten. Der Mensch, und da waren sich am Ende alle einig, bleibt weiterhin das Maß aller Dinge, auch des Internets der Dinge, wie Industrie 4.0 auch genannt wird. Die Vernetzung und Virtualisierung von Produktion und Logistik liefert nicht nur den Großunternehmen, sondern auch dem Mittelstand signifikante Einsparpotenziale und damit auch Wettbewerbsvorteile.




JUMO baut ein digitales Sensorwerk

Gemeinsam mit der IHK Fulda und dem Verein Zeitsprung IT-Forum Fulda hatte das Engineering-High-Tech-Cluster Fulda e.V. heimische Technologieunternehmer zum Erfahrungsaustausch in das ITZ-Fulda eingeladen. IHK-Präsident Bernhard Juchheim begrüßte die Teilnehmer, darunter auch Landrat Bernd Woide, in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des EH-Clusters. In einer ausführlichen Projektskizze erläuterte er aus erster Hand die Planungsschritte für den Bau des neuen JUMO-Sensorwerks, das auf einem 110.000 Quadratmeter großen Gelände im Industriegebiet Fulda-West entstehen soll und nach Industrie 4.0 Gesichtspunkten arbeitet. Getreu dem Motto „Wir wachsen gemeinsam weltweit“ wurden, so Juchheim, von Anfang an die Mitarbeiter des Unternehmens in den Planungsprozess eingebunden. „Wir wollen den Mitarbeitern die Angst vor der digitalen Fabrik nehmen“. Doch vor der Digitalisierung stehe die Optimierung der Produktionsprozesse im Umfeld der Mitarbeiter. Juchheim: „Ordnung, Sauberkeit und Disziplin sind auch im Industrie-4.0-Zeitalter unverzichtbare Basics.“

Das neue Werk werde von innen nach außen geplant. Die Gebäudehülle richte sich nach den erforderlichen Prozessen zur Herstellung der Sensoren für Temperatur, Druck und Analysetechnik unter einem Dach. Allein durch die Optimierung des Logistikstromes sei ein Einsparvolumen von 30 Prozent zu erzielen. Juchheim verglich die Anforderungen der Hersteller im digitalen Zeitalter mit den schier unendlichen Möglichkeiten eines Online-Konfigurators für einzelne Modelle der Automobilhersteller. Die beinahe unbegrenzte Produktvielfalt führe zu veränderten Stückzahlen bis hin zur Losgröße 1. „In jedem Fall geht Lieferzeit vor Maschinenauslastung“.


Virtuelle Inbetriebnahme

Disziplin und klare Regeln am Arbeitsplatz und im Umgang mit den Prozessdaten sind auch nach den Worten von Manfred Hahl, Chef der FFT Produktionssysteme GmbH & Co. KG mit weltweit 2000 Mitarbeitern, der Schlüssel zum Erfolg der digitalen Fabrik. Er vermisst jedoch eine klare Definition dessen, was sich hinter dem Begriff Industrie 4.0 verbirgt. FFT habe ein Verfahren entwickelt, bei dem Produktionsstraßen für die Automobilindustrie mit bis zum 100 Robotern virtuell in Betrieb genommen würden. Die Zeiten für das „Hochfahren der Anlage“ ließen sich dadurch von bislang zwölf auf drei Wochen und zukünftig sicherlich noch geringere Zeiträume verkürzen. Dabei sei der Reifegrad der Anlage zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme schon sehr viel höher. Die virtuelle, also digitale Inbetriebnahme am Bildschirm des Konstrukteurs, ermögliche es, auf dem Wege der Simulation schon Verbesserungen vorzunehmen, ohne dass ein Stück produziert worden sei. Die Vorteile der digitalen Fabrik könnten jedoch nur dann dauerhaft genutzt werden, wenn Veränderungen im Produktionsprozess auch ständig im Datenbestand dokumentiert würden. „Das setzt eine enorme Disziplin voraus“. FFT habe für die Virtualisierung eigene Lösungen erarbeitet und hier auch die Schnittstellenproblematik bei der Datenübergabe von unterschiedlichen Softwaresystemen gelöst. Manfred Hahl: „Wir können am Bildschirm schon Fehler und Problemstellungen bei der Produktion simulieren und so die Anlage optimieren.“



Ersatzteile aus dem 3D-Drucker

Dr. Frank Breitenbach von der EDAG Production Solutions GmbH & Co. KG wagte einen Blick in die Zukunft und stellte die Möglichkeiten einer wandelbaren digitalen Fabrik vor. Unter Einbeziehung der Möglichkeiten des 3-D-Drucks könnten dann Fahrzeuge ohne Vorrichtungen quasi als Einzelstücke produziert werden. Denkbar sei hier auch die Verwendung von Fertigungsinseln, mit denen einzelne Teile bereits dezentral bei Lieferanten vorgefertigt würden, aber weiterhin Bestandteil des gesamten digitalen Produktionsprozesses blieben. Die Vision, wonach zukünftig die Daten für Autoersatzteile aus dem Internet heruntergeladen werden könnten und das Teil dann auf einem 3-D-Drucker zu Hause erstellt werde, entspreche durchaus der Wirklichkeit.

Zu Beginn der Veranstaltung hatte Dr. Kai Blanck von der IHK Innovationsberatung Hessen sein Beratungsangebot insbesondere für innovative Unternehmen vorgestellt. Prof. Dr. Oliver Koch, Wissenschaftlicher Leiter der Privaten Berufsakademie Fulda, stellte erste wissenschaftliche Erkenntnisse zur Verbreitung und Durchdringung von Industrie-4.0 in der Wirtschaft vor. Die Unternehmen müssten keine Angst haben, vom digitalen Tsunami überrollt zu werden. Vielmehr biete die Digitalisierung besondere Chancen: „Es besteht eine Korrelation zwischen der Zunahme der Digitalisierung und dem Geschäftserfolg von Unternehmen.“ Untersuchungen hätten zudem gezeigt, dass Geschäftsmodelle wichtiger seien als die IT.


Dualer Studienschwerpunkt Industrie 4.0

Industrie 4.0 erfordere, so Koch weiter, auch einen neuen Typus von Mitarbeitern. „Er muss den Ingenieur in der Tiefe verstehen, IT-Sachverstand haben und gleichzeitig als Projektmanager mit Überblick und betriebswirtschaftlichen Kenntnissen agieren“. Aus diesem Grund entwickle die Private Berufsakademie Fulda in enger Abstimmung mit den heimischen Technologieunternehmen einen neuen Studienschwerpunkt Industrie 4.0, der im Oktober 2016 starten soll.

Clustermanager Christian Vey und Regionalmanager Christoph Burkard moderierten die Veranstaltung, die die Grundlage für ein zukünftiges Erfahrungsaustauschnetzwerk sein soll. Die Technologiecluster wollen gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung die heimischen Unternehmen bei der zunehmenden Digitalisierung begleiten. Weitere Informationen unter www.eh-cluster.de +++

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