"Warum wollten sie mich nicht?"
Eve-Maria SELL - Suche nach leiblicher Schwester ist eine Herzensangelegenheit
Foto: privat
04.02.2015 / PHILIPPSTHAL -
Heute feiert Eve-Maria Sell in ihrem schönen Zuhause, das sie mit ihrem Ehemann Hartmut teilt, ihren 63. Geburtstag. Ein Tag, an dem ihre Lebensgeschichte besonders präsent ist, die mit ihrer Geburt in Murnau/Oberbayern begann. Hier lebte ihre Mutter Ursula Roland, die in Eisenach geboren und aufgewachsen ist. Vor allem Auseinandersetzungen mit ihrer Stiefmutter bewogen die junge Frau, fern der Heimat als Krankenschwester zu arbeiten. Sie wurde von Ferdinand Hampel schwanger, konnte aber – da sie ihren Lebensunterhalt verdienen musste – nicht für ihr Kind sorgen. Maria kam nach der Geburt sofort in ein Kinderheim in Murnau. Nach einem Jahr konnte die inzwischen wieder schwangere Ursula Roland die Heimkosten nicht mehr bezahlen und fuhr im März 1953 mit ihrer Tochter an die hessisch-thüringische Grenze zwischen Philippsthal und Vacha, um ihren Vater zu treffen, der nicht kam. Ihm wollte sie das Kind anvertrauen.
Da sie ihre Tochter nicht mit zurücknehmen konnte, versuchte Ursula Roland, die kleine Maria im Philippsthaler Altenheim abzugeben. Durch die Vermittlung der Oberschwester der Einrichtung und dem Dorfpolizist, wurde sie von dem kinderlosen Ehepaar Ernst und Magdalene Freise aus Philippsthal mit Genehmigung des Jugendamtes in Bad Hersfeld als Pflegekind aufgenommen. Eine glückliche Fügung für die damals Einjährige, die von ihren Pflegeeltern den Namen Eve bekam. Eve-Maria Sell erzählt: „Ich wurde von meinen Pflegeeltern aufgepäppelt, da ich stark unterernährt und krank war“.
Ein Streit mit dem Nachbarmädchen brachte es ans Licht
Sie blieb, denn mit diesem unerwarteten Wissen wollte sie nicht weg von ihren Eltern und absolvierte in ihrem Heimatort eine Ausbildung als Friseuse. Nach dem Tod ihres Vaters Ernst wurde sie von ihrer Mutter Magdalene adoptiert. In Philippsthal lernte sie auch ihren Mann Hartmut kennen und lieben. Sie war 19 Jahre alt, als sie heirateten. Hierzu brauchte und bekam sie die schriftliche Genehmigung ihrer leiblichen Mutter, eine weitere Kontaktaufnahme oder gar Annäherung blieb aus. Ihre Söhne Dirk und Carsten wurden geboren, nach einer Umschulung arbeitete sie als datentechnische Zeichnerin bei der Firma Siemens und später als Verkäuferin im Modezentrum Sauer in Bad Hersfeld.
"Warum wollten sie mich nicht haben?"
Trotz alledem quält sie unterschwellig immer wieder die Frage: „Warum wollten mich meine leiblichen Eltern nicht haben?“ Von ihren Pflegeeltern hat sie erfahren, dass es im Frühjahr 1955 auf dem amerikanischen Konsulat in Frankfurt zu einem Treffen mit ihrer Mutter und der am 12.08.1953 geborenen leiblichen Schwester namens Rosalie oder Rosalinde kam. Die Schwestern sollten von ihrer Mutter zur Adoption freigegeben werden und einem Eve-Maria Sell bis heute namentlich unbekannten Major, der in Murnau wahrscheinlich im medizinischen Dienst stationiert war, nach Amerika folgen.
Ernst und Magdalene Freise verhinderten kämpferisch die Adoption ihrer Pflegetochter. Die Schwester wurde adoptiert. „Ich suche meine leibliche Schwester seit vielen Jahren“, erzählt Eve-Maria Sell, die sich bereits an den Personensuchdienst des Deutschen Roten Kreuzes, an das amerikanische Konsulat, an die Jugendämter in Murnau und Garmisch-Partenkirchen, sogar an verschiedene Fernsehsender, die sich der Suche nach Vermissten annehmen, gewandt hat, aber bisher keinen Schritt weiter gekommen ist. Sie macht deutlich, dass sie nicht aufgeben wird.
Die Grenzöffnung im Jahr 1989 wurde auch für Eve-Maria Sell zu einem persönlichen Wendepunkt in ihrem Leben. Kurz nach der Grenzöffnung bekam sie überraschenden Besuch von ihrem Onkel mütterlicherseits aus Eisenach, der ihr die Nachricht überbrachte, dass ihre 1972 verstorbene leibliche Mutter sie als Erbin eingesetzt hat. Ein Erbe, das sie mit ihren Halbgeschwistern aus der Ehe ihrer Mutter teilen musste. Eve-Maria Sell bekam die Adressen von ihren Halbschwestern Christa und Monika, zu denen sie sofort Kontakt aufnahm. Ihr Halbbruder war schon 1971 gemeinsam mit seinem Vater tödlich verunglückt. Der Kontakt zum Onkel ist nach einem Familienstreit abgebrochen, was tragisch ist, denn es ist anzunehmen, dass er viele offene Fragen beantworten könnte und vor allem die damalige Adresse des Majors besitzt.
Als erwachsene Frau zur "großen Schwester" geworden
Zu einem ersten Treffen mit den Halbschwestern, die aus Niederbayern anreisten, kam es Anfang 1990 in Würzburg, was bei ihr unglaubliche Glücksgefühle auslöste. Schnell wurden sehr viele Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten untereinander und mit den Kindern der drei Frauen festgestellt und ein geschwisterliches Verhältnis aufgebaut. Die Halbschwestern wussten schon lange von der Existenz Marias. Die gemeinsame Mutter hatte immer ein Foto ihrer Erstgeborenen auf dem Fernseher stehen. „Ich habe gegenüber meiner Mutter noch nie Groll empfunden, dass sie mich abgegeben hat“, versichert Eve-Maria Sell. Die Familie ihres leiblichen Vaters hat auf die Kontaktaufnahme ihrerseits nicht reagiert, die Existenz eines Bruders aus dieser Verbindung ist ebenfalls ungeklärt. Eve-Maria Sell pflegt einen engen Kontakt zu ihren Halbschwestern und deren Familien, die jüngere Halbschwester hat sogar die Patenschaft ihrer Enkeltochter Lenja Mareike übernommen. Die Dreijährige und ihre ältere Schwester Mirja wissen, dass ihre Oma bei Pflegeeltern aufgewachsen ist und erst als erwachsene Frau „eine große Schwester“ wurde.
Eve-Maria Sell geht ganz offen mit ihrer ungewöhnlichen Lebensgeschichte um, die mit vielen positiven Wendungen und dem Geschenk einer großen Familie auch viel Freude in ihr Leben gebracht hat. Nun möchte sie ihre Geschichte öffentlich mit Menschen teilen, die sich dafür interessieren oder denen ein ähnliches Schicksal auferlegt wurde. Natürlich verbindet sie mit der Veröffentlichung die vage Hoffnung, dass sie Menschen erreicht, die bei der Suche nach ihrer leiblichen Schwester unter ihrer Mailadresse hartmut-maria@hotmail.de einen entscheidenden Hinweis geben können oder aber über entsprechende Kontakte verfügen, die eine Suche in den USA ermöglichen. Das wäre ihr schönstes Geburtstagsgeschenk. (Gudrun Schmidl) +++