NACHGEDACHT (108)
Ent-Täuschung - Gedanken von Christina LEINWEBER
01.02.2015 / REGION -
Wie oft sind wir enttäuscht? Wahrscheinlich ganz häufig und wir verbinden mit diesem Gefühl hauptsächlich negative Stimmung. Unsere Sprache - genauer gesagt sogar das Wort selbst - kann diesem Gefühl aber etwas entgegensetzen und im Falle von Enttäuschung für Abhilfe sorgen. Denn unser Sprachsystem ist nicht nur hochkomplex, sondern hat viele interessante Besonderheiten und Bedeutungen. Ich zeige es Ihnen, indem wir eine kleine Runde Sprachbetrachtung betreiben. Schauen Sie sich bitte das Wort im Titel jetzt ganz genau mit mir an: Enttäuschung. Ein einfaches Substantiv - jedenfalls auf den ersten Blick.
Trennt man das Wort in seine zwei Hauptteile - Ent-Täuschung - wird die Aufmerksamkeit neu konzentriert. Scheinbar hat dieses Morphem "Ent" mit nur drei Buchstaben eine weitaus größere Relevanz als seine Länge erwarten lässt. "Ent" bedarf zwar eines Partners, um seine ganze Bedeutung zu entfalten, aber auch allein versteht man, dass es auf so etwas wie Verneinung, Trennung und Ende hinweist. Es steckt in Worten wie entwöhnen, entfernen, entmutigen. In unserem Beispiel entfaltet es zwar auch erst seine volle Bedeutung in Kombination mit "Täuschung", was aber erst einmal getrennt davon betrachtet werden sollte. "Täuschung" kann auch mit Blendung, Irreführung, Augenwischerei oder sogar Betrug ausgedrückt werden.
Alle diese Begriffe machen deutlich: Wer getäuscht wird, befindet sich in einer misslichen Lage, der Person wird böse mitgespielt. Doch wenn dann zum Wort "Täuschung" der Zusatz "Ent" hinzukommt und ihm sogar vorangestellt wird, bedeutet das, dass der Zustand des Betruges und der Augenwischerei vorbei ist. Die Täuschung ist zu Ende - der Blick ist wieder klar. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Wer enttäuscht ist, sollte von nun an also nicht mehr nur niedergeschlagen sein, sondern sich freuen, dass er durch diese Ent-Täuschung wieder klarer sieht. "Ent-Täuschung" bedeutet also auch "Ende des Betruges" und "Ende der Irreführung". (Christina Leinweber) +++
ZUR PERSON: Christina Leinweber, 1988 geboren in der osthessischen Bischofsstadt Fulda, neun Jahre katholisch-private Schulausbildung – so war der Weg zum Theologiestudium für sie vorbestimmt und beschlossen. Es ging dann für vier Jahre Studium in die nächste Bischofsstadt Paderborn - hat inzwischen ihr 1. Staatsexamen in der Tasche und ist seit Anfang November 2013 im Schuldienst des Landes Hessen. Ihre Tätigkeit als Kolumnistin bei osthessen-news.de möchte sie auch in Zukunft fortsetzen. Sie selbst bezeichnet sich als liberal-theologisch und kommentiert (seit 108 Wochen) in der Serie "NACHGEDACHT" Dinge des Alltags aus ihrer persönlichen Sicht. +++