In Straßennamen Geschichte eines Dorfes lesen
Fliedener Heimatverein blickt in die Vergangenheit - Historische Wegbezeichnungen
09.01.2015 / FLIEDEN -
Straßennamen sind im wahrsten Sinne des Wortes Aushängeschilder einer Kommune. Diese Feststellung konnten die Zuhörer einem Vortrag entnehmen, den Raimund Henkel vor Mitgliedern des Heimatvereins Königreich Flieden über das Thema „Interessantes und Kurioses zu Fliedener Straßennamen“ im Hüttnergut Lenzis hielt. Für seine Ausführungen hatte der Referent historische Quellen ab 1560 und die Adressbücher von 1925, 1937 und 1951 ausgewertet
Im mittelalterlichen Dorf kannte jeder Einwohner seinen Nachbarn, so dass zu dessen Identifizierung der Name genügte, bei Bedarf ergänzt durch handwerkliche Tätigkeit oder besondere Eigenschaften, aus denen oft auch die Haus- und Hofnamen hervorgingen. Für Flieden konnten zur genaueren Adressierung noch die vier Dorfviertel Untergasse, Zent, Renzergasse und Hinzergasse hinzugefügt werden. Außerdem gab es bereits seit 1792 Hausnummern, die 1805 bei der Einführung der obligatorischen Brandversicherung im Fuldaer Land zur Registrierung verwendet wurden. Diese Zahlenfolge endete um 1960 bei der Ablösung des Adressensystems bei der Hausnummer 223. Weil bis dahin viele Baulücken geschlossen worden waren, ergänzte man mit Bruchzahlen oder Buchstaben.
Mit optischer Unterstützung der Kalenderblätter „Flieden in alten Ansichten 2015“ begaben sich die Zuhörer auf einen Gang durch Fliedens Straßen. Der wichtigste aller Verkehrswege war die Handelsstraße Frankfurt-Leipzig, im lokalen und behördlichen Gebrauch mit Landstraße oder Chaussee (= durch Schotter befestigte Fahrbahndecke) bezeichnet. Mit zunehmender Benutzung offizieller Namen hieß sie innerorts Alte Straße, Hauptstraße und Fuldaer Straße (wie heute). Im Dritten Reich trug sie im Ortskern den Namen Adolf Hitler und nach Kriegsende taufte sie Pfarrer Georg Kind eigenmächtig auf den Kirchen- und Ortspatron St. Goar um, was jedoch keinen Bestand hatte. Es sollte einfach wieder die Hauptstraße sein. Seit 2006 ist der gesamte Verlauf der historischen Fernstraße Bestandteil der vom Europarat zur Kulturroute erklärten Via Regia.
Bei der Suche nach neuen Namen orientierte man sich zum Teil an Flurbezeichnungen, Mühlen, Besonderheiten der Örtlichkeit oder markanten Hofnamen. Für das innerörtliche Wegenetz mussten zusätzliche Namen gefunden werden. Dafür standen dorfbekannte Personen Pate (Elisabethweg, Heinrichstraße), weil sie zufällig dort wohnten. Der verkehrstechnische Begriff Sackgasse wurde zur Straßenbezeichnung für einen Seitenweg der Zentstraße. Leider fand die Anregung des Heimatvereins bislang keine Gehör, diese Wegeführung in Turmgasse umzubenennen uns somit eine historische Stätte, das Zentgefängnis, in Erinnerung zu behalten. Allein der Hausname „Dörmesch (=Türmers)“ weist auf die ehemalige „Justizvollzugsanstalt“ hin.
Eine ganz kuriose Wegebezeichnung entstand auf der Döngesmühle. Dort erbaute 1798 Johannes Weß eine abseits liegendes Gehöft, auf dem sich bis heute der Hausname „Weässe“ erhalten hat. Das Straßenschild dort lautet „Wersenberg“! Für die Straßen der jüngeren Wohngebiete wurden zum Beispiel ehemalige deutsche Ostgebiete und lokale oder überörtliche Persönlichkeiten berücksichtigt. +++
Foto: R. Henkel