25 Jahre Mauerfall (10)
Vom Heimatstübchen zum Stadtmuseum - (Grenz-) Geschichte hautnah erleben
08.11.2014 / VACHA -
Eintauchen in Vachas Stadtgeschichte können die Besucher des Museums „Burg Wendelstein“, die im Hohen Mittelalter errichtet wurde. Ein würdiger Ort für die Ausstellungen mitsamt ihren Exponaten, die jeden Winkel des altehrwürdigen Gebäudes zieren. Museumsleiter Eugen Rohm nimmt mich mit auf eine Reise durch die unterschiedlichsten Epochen, die Vacha prägten, das 817 als Ortschaft erstmals urkundliche Erwähnung fand und sich seit 1186 als Stadt bezeichnen darf.
Relikte aus der Keltenzeit säumen unseren Weg. Wir werden Zeugen der Reformation, des Bauernkrieges sowie des Dreißigjährigen Krieges und erhalten eine Einweisung in alte Handwerkskunst. Rund 2.000 Puppen, die überwiegend aus einer privaten Sammlung stammen, beäugen uns scheinbar teilnahmslos auf unserem Rundgang. Wir sichten die Sonderausstellung zum Thema „100 Jahre Erster Weltkrieg“, betrachten die „Stolpersteine“, die in diesem Frühjahr verlegt wurden, um uns schließlich dem Leben in Vacha an der innerdeutschen Grenze von 1945 bis 1989 zu widmen. Die Ereignisse, die sich dort abspielten, ziehen uns in ihren Bann.
Ich folge Eugen Rohm, der seit August die Geschicke des Museums leitet, in einen kleinen Raum, öffne das Mini-Fenster und lasse meinen Blick über die „Brücke der Einheit“ und das benachbarte Philippsthal-Weidenhain schweifen. Ich visiere die Hoßfeldsche Druckerei – das Haus auf der Grenze – an. Bis auf einen Beobachtungsturm und ein Stück „Mauer“, die die einstige Teilung Deutschlands beglaubigen, mutet es an, als hätte es die Demarkationslinie, die einem Volk unendlich großes Leid zufügte, nie gegeben.
Der Grundstein für das heutige Stadtmuseum wird gelegt
1986 – die 800-Jahrfeier der Stadt Vacha steht an – offeriert sich Günter Hermes, der als Meister im hiesigen VEB Kabelwerk arbeitet, und seinen geschichtsinteressierten Mitstreitern die Chance. „Wir fassten die Gelegenheit beim Schopfe und trugen an das Festkomitee die Bitte heran, eine kleine Heimatstube aufbauen zu dürfen.“ Das Paradoxe: Man stimmt dem Anliegen der Arbeitsgruppe „Stadtgeschichte“ des Kulturbundes zu, obwohl Vacha zum Fünf-Kilometer-Schutzstreifen zählt. In einem kleinen Raum der „Burg Wendelstein“ beginnen die Heimatfreunde, ihr „Museum“ einzurichten. „In den Tagen um die 800-Jahrfeier fanden viele Leute aus der Region, darunter sogar einige Westbesucher, den Weg zu uns“, erinnert sich der 74-Jährige. „In das Gästebuch trugen sich sogar zwei Bezirkssekretäre der SED ein.“
Die Stimmung steigt. Zusammen ziehen die Kulturbund-Mitglieder los. Ihr Ziel, der Jugendclub, das heutige „Hotel Adler“. „Wir haben mächtig gezecht“, verrät Hermes. „Plötzlich kamen drei Jugendliche an unseren Tisch und baten mich, ihnen den Schlüssel für unser Museum auszuhändigen, damit sie die Fahne mit dem Stadtwappen holen konnten. Diese wollten die jungen Männer in einem symbolischen Akt an der Freitreppe des Philippsthaler Rathauses befestigen.“
Der Tag, an dem deutsch-deutsche Geschichte geschrieben wurde
Um kurz nach 8 Uhr ist es soweit: Das Tor zum Schutzstreifen öffnet sich. Günter Hermes stürmt mit den anderen Vachaern über die Werrabrücke in Richtung Philippsthal-Weidenhain. Mit seinem Fotoapparat hält er das denkwürdige Ereignis fest. Und stößt mit wildfremden Menschen, die ihm um den Hals fallen, auf den Fall der Mauer an. Zu Hause angekommen, weckt er seine Frau, um ihr alles zu berichten. Renate Hermes, vom Spätdienst gezeichnet, meint schlaftrunken zu ihrem Mann: „Du bist doch noch betrunken.“ Seelenruhig dreht sie sich herum, um noch ein Weilchen in Morpheus‘ Armen zu liegen.
Die thüringische Stadt lebt auf – und mit ihr die Heimatstube. „Besucher klopften ans Fenster, die ich dann durch das Museum und Vacha führte“, berichtet Günter Hermes. Zu Beginn der 1990er Jahren wird aus dem Kulturbund der Heimat- und Geschichtsverein, dem sich auch einige Philippsthaler anschließen. „Die einstige Heimatstube hat sich inzwischen zu einem beachtlichen Regionalmuseum gemausert“, bekräftigt der ehemalige Museumsleiter, dessen Amt 1993 seine Gattin Renate übernahm, die wiederum vor wenigen Monaten von Eugen Rohm abgelöst wurde. Obwohl sich Hermes, der unter einer Sehbehinderung leidet, in den Ruhestand verabschiedet hat und „nur noch“ als privater Ortschronist agiert, bleibt er ein gefragter Mann. „Wenn es um Stadtgeschichte geht, ist Günter eine Bank“, bestätigt Eugen Rohm.