"Antijüdische Vorbehalte bedient"

Das Unbekannte an den Brüdern Grimm: ihr Antisemitismus

links: Prof. Dr.Holger Ehrhardt / rechts Dr. Michael Imhof in der Ausstellung

16.10.2014 / FULDA - "Sie sind umgeben von der Aura der biedermeierlichen Idylle und befriedigen die Sehnsucht der Menschen nach einer märchenhaften Welt, zu ihrer Zeit wie heute.“ So lautete die Einstiegsthese von Prof. Dr. Holger Ehrhardt, Lehrstuhlinhaber der Brüder-Grimm-Stiftungsprofessur an der Universität Kassel. In der Veranstaltung des Vereins „Zukunft Bildung Region Fulda“ zur Ausstellung „200 Jahre Emanzipation der Juden in Fulda und Region“ im Vonderau-Museum gehe es darum, so Dr. Michael Imhof, Kurator der Ausstellung, aufzuzeigen, wie gerade in Intellektuellen-Kreisen des 19. Jahrhunderts die Vorbehalte gegenüber der Emanzipation der Juden transportiert und salonfähig gemacht wurden. 



Prof. Ehrhardt verließ in seinen Ausführungen dann auch zügig die gängigen Klischees und Schlagworte zu den Brüdern Grimm und enttarnte deren Antisemitismus und noch unangenehmer, dass dieser von der Forschung bisher ignoriert werde. Die Brüder Grimm, bekannt als Märchen-Sammler und in der Wissenschaftswelt gefeiert als Väter der deutschen Sprachwissenschaft, die den neuhochdeutschen Sprachschatz zwischen Luther und Goethe in ihrem Deutschen Wörterbuch zusammengetragen hatten, lassen in ihren privaten Briefwechseln tief in ihr geistiges Seelenleben blicken. „Es ist eine diffuse Antipathie gegenüber den Juden, die sich wie ein roter Faden des aufkommenden Antisemitismus durch ihre Briefe zieht“, formulierte Ehrhardt. Da ist von einer „höchst fatal geschwätzigen Jüdin“ die Rede oder ein Gesprächspartner wird mit „er hat ganz die jüdische Frechheit und Zudringlichkeit“ diffamiert. In einem Brief an seinen Bruder Wilhelm schreibt Jacob, dass der „Arzt Koreff aus Breslau wie alle getauften Juden etwas vorlautes Widrige“ habe. Er spottet über „jüdisches Gepräge“, alles zu treiben, „was Wirkung macht und wovon sie sich Vortheil versprechen.“

In ihrem weniger bekannten Hausmärchen „Der Jude im Dorn“ verschärfen sie in der Neuauflage von 1837 gegenüber der Erstausgabe von 1815 die antijüdische Stigmatisierung, wenn aus „begegnet einem Juden“ ein „Jude mit einem langen Ziegenbart“ wird. Auch in den Grimmschen Sagen-Sammlungen werden in „Der ewige Jude“, „Das von den Juden getötete Mägdlein“ oder „Der Judenstein“ antijüdische Klischees und Ritualmord-Legenden als deutsches Volksgut transportiert und zur Volksweisheit überhöht.

Diese Grundhaltung findet sich auch bei ihrem Bruder, dem Maler Ludwig Emil Grimm, in seinen teilweise bösartigen und karikaturhaften Darstellungen von Juden aus dem Schlüchterner Bergwinkel wieder, skizziert auf dessen Reisen zwischen Kassel und Hanau.

In der Epoche der Romantik führte die Suche nach nationaler Identität in Deutschland zu unseligen Verknüpfungen mit den seit Jahrhunderten bestehenden Ressentiments gegenüber den Juden. In ihrer biedermeierlichen Gelehrtenhaltung beschränkten sich die Brüder Grimm auf das Sammeln und Hegen, so Ehrhardt und übersahen, dass sie die antijüdischen Vorbehalte bedienten und gesellschaftlich akzeptabel machten. Da sie in ihrem Privatleben durchaus vertraute soziale Beziehungen mit Juden pflegten, wie zu dem Hebräischlehrer Jochil oder zu den Bankiers Carl Rothschild und Wolff Rinald in Kassel, hätten sie es besser wissen müssen.+++



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