25 Jahre Mauerfall (6)
Eine bewegte Zeit - Fritz SCHÄFERs schönste Bürgermeisterjahre
Fotos: Privatarchiv Bürgermeister a.D. Fritz Schäfer
05.10.2014 / PHILIPPSTHAL -
Als die schönsten Monate seiner 24 Jahre andauernden Amtszeit bezeichnet der ehemalige Bürgermeister von Philippsthal die Ära der Wende, des Mauerfalls und der Wiedervereinigung. „Es war eine Zeit, in der man etwas bewegen und erschaffen konnte“, unterstreicht Fritz Schäfer. „Mann konnte schnell und unbürokratisch handeln – die Beschlüsse wurden einfach nachgeholt." Geld habe damals keine Rolle gespielt. „Ein Anruf genügte, damit der Bund die entsprechenden Mittel bereitstellte."
Im Oktober 1989 – wenige Wochen vor Grenzöffnung – befand sich der Philippsthaler gemeinsam mit seiner Frau auf Urlaubsreise in Südafrika. Über die Medien erfuhren die beiden, dass Erich Honecker, der erste Mann der DDR, von seinen eigenen Getreuen entmachtet wurde. Fritz Schäfers spontane Reaktion auf diese Nachricht? „Ich muss sofort zurück nach Hause.“ Doch seine Gattin blieb standhaft – an einen Urlaubsabbruch war nicht zu denken. Wieder in der Heimat angelangt, bekam der Rathauschef den Hinweis zugetragen, dass sich etwas an der Grenze rühre. „Ich merkte nichts – vorerst“, resümiert er. „Alles änderte sich urplötzlich am Abend des 11. November, als zwei Zollbeamte mitten in die Jahresabschlussfeier des Wandervereins, die im Philippsthaler ‚Tiefenkeller‘ stattfand, hereinplatzten und mich sprechen wollten."
Sie nahmen Fritz Schäfer beiseite und eröffneten ihm, dass am nächsten Morgen die Grenze bei Philippsthal-Weidenhain aufgehen würde und er vorerst darüber Stillschweigen bewahren solle.„Ich konnte diese sensationelle Meldung nicht zurückhalten“, erzählt er. „Vor Ort waren zwei Männer aus Vacha, die ganz normal über Herleshausen ausgereist waren. Ihnen steckte ich: ‚Ihr könnt euch den Weg nach Herleshausen sparen. Ihr könnt über Philippsthal einreisen. Morgen um sechs Uhr geht die Grenze auf.‘ Endlich war es raus.“ Noch in der Nacht trommelte das Gemeindeoberhaupt die Verwaltung zusammen und informierte alle wichtigen Personen über das bevorstehende Ereignis. Ein „Krisenstab“ wurde gebildet. „Wir benötigten unbedingt Geld – Begrüßungsgeld“, betont er. „Zudem befassten wir uns mit Themen, wie Verkehrsregelungen, Versorgung und Feuerwehr sowie Rettungsdienste.“ Gegen 5.30 Uhr traf der Tross an der Grenze ein. Dort herrschte bereits ein riesiger Menschenauflauf. Halb Philippsthal war auf den Beinen, um Teil dieses einzigartigen Moments zu werden.
Ein Bild hat sich besonders in das Gedächtnis des Bürgermeisters a.D. eingegraben: „Gegen 8.15 Uhr kamen wir an einem Haus vorbei. Aus einem geöffneten Fenster schaute uns eine ältere Dame im Nachthemd ungläubig an. Wir bestellten ihr schöne Grüße aus dem benachbarten Philippsthal. Die meisten Vachaer wussten noch gar nicht, dass sich die Grenze geöffnet hatte.“
Die große Arbeit begann: Zwischen dem 12. November und dem 31. Dezember 1989 hätte die Gemeinde allein 6,4 Millionen DM an Begrüßungsgeld ausgezahlt. Ein Aktionsprogramm wurde aufgelegt, um finanzielle und verwaltungstechnische Schützenhilfe zu leisten. So konnten die defekte Heizung im Vachaer Kindergarten erneuert, die Straßen instandgesetzt, Fußgänger- und Radwege angelegt und nahe der Werrabrücke eine Telefonzelle aufgestellt werden. „Ich dachte mir, wir müssen den Leuten doch helfen. Alle Beteiligten haben damals Wahnsinniges geleistet“, sagt Fritz Schäfer. „Allerdings hege ich auch große Bewunderung für die Bürger der damaligen DDR. Stundenlang standen sie diszipliniert Schlange, um sich ihr Begrüßungsgeld zu sichern.“
Die ersten zwei bis drei Jahre nach dem Fall der Mauer seien eine schöne Zeit - voller Euphorie, Aufbruchsstimmung und Tatendrang – gewesen. Danach sei leider eine Phase der Skepsis, abgelöst von Jahren des Stillstands und der Aggression, eingetreten. „Ich bin froh, dass das alles vorbei ist“, untermauert Fritz Schäfer, der gelegentlich von kritischen Stimmen aus dem „Westen“ für sein tiefgreifendes Engagement für den „Osten“ abgestraft wurde. „Ich war für die Wiedervereinigung – und bereue nichts.“ Einen Antrag, seine persönliche Stasi-Akte einzusehen, hat er nie gestellt. „Das wollte und will ich mir ersparen – sonst hätte ich vielleicht auf einen Schlag weniger Freunde.“ (Stefanie Harth) +++