25 Jahre Mauerfall (1)
„Halt, stehen bleiben!“ – Dramatische Tage im DDR-Knast: Grenzschützer Gunther BOHLE
Fotos: Bundespolizei Eschwege
27.08.2014 / NIEDERAULA -
Vor 25 Jahren fiel die Mauer - die Grenzen zwischen Ost und West sind Geschichte, Deutschland wiedervereint. Die junge Generation kennt heute den ehemaligen Zaun zwischen - beispielsweise Rasdorf und Geisa - nur noch aus den Geschichtsbüchern oder den Gedenkstätten wie beispielsweise Point Alpha (Landkreis Fulda) oder Schifflersgrund (Werra-Meißner-Kreis).
OSTHESSEN|NEWS erinnert in den kommenden Wochen und Monaten in zahlreichen Beiträgen an den Fall der Mauer. Zeitzeugen erzählen ihre ganz privaten Erlebnisse. Wie war das Leben und Arbeiten an der innerdeutschen Grenze - im Zonenrandgebiet? Menschen aus Osthessen und Thüringen berichten von den Tagen als die Grenze endlich geöffnet wurde.
In unserem ersten Teil schildert uns Gunther Bohle aus Niederaula wie er als junger Grenzschützer plötzlich zum Spielball des DDR-Regimes wurde - aufgezeichnet von unserer Mitarbeiterin Stefanie Harth:
Vor 38 Jahren überschritt der Bundesgrenzschützer Gunther Bohle unwissentlich die innerdeutsche Grenze. Für das DDR-Regime damals ein gefundenes „Fressen“. Es startete eine regelrechte Propaganda-Maschinerie. Sogar das DDR-Fernsehen – genauer gesagt, die Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ – schlachtete den Grenzübertritt aus, indem es ein Interview mit dem Niederaulaer ausstrahlte.
Der junge Grenzschützer läuft seinem Vorgesetzten hinterher. Anstatt einen Bogen einzuschlagen, nehmen sie den direkten Weg – und begeben sich somit auf DDR-Areal. „Ich kannte mich in diesem Gefilde gar nicht aus – es war erst meine dritte Streife“, blickt Gunther Bohle auf den dramatischsten Moment seiner BGS-Laufbahn zurück. Plötzlich vernehmen die BGSler ein Knacken – wie er heute weiß, ist dieses auf das Durchladen eines Gewehres zurückzuführen. Ein Trupp DDR-Grenzer tritt hinter den Bäumen hervor. „Halt, stehen bleiben oder wir schießen“, ruft einer der Soldaten in die Stille.
Nach drei Tagen der Angst, des Bangens und des Blickens in eine ungewisse Zukunft findet die Leidenszeit von Gunther Bohle und Wolf-Dieter Frese am Freitag, 18. Juni, ein Ende. Über den kleinen Grenzverkehr gelangen die beiden ins niedersächsische Duderstadt. Von dort aus geht es direkt nach Kassel zu einer Pressekonferenz. „Auf dieser habe ich mich zu den Vorfällen nicht geäußert“, betont Bohle. Nachdem die Ermittlungen seitens der BRD abgeschlossen sind, verrichtet er wieder seinen Grenzdienst – anfangs mit einem „komischen Gefühl“ im Bauch. Ab 1978 fährt der Bundesgrenzschützer Grenzstreife als Streifenführer; verrichtet seinen Dienst beim BGS/bei der Bundespolizei in Bad Hersfeld, Hünfeld und Eschwege.
„Im Nachhinein war mir bewusst, dass sich die DDR-Führung an die Vereinbarung, die zwischen der DDR und der BRD bestand, gehalten hat, indem sie uns nach drei Tagen auf freien Fuß setzte.“ Zum Zeitpunkt des Festhaltens sei er sich darüber nicht im Klaren gewesen. Jahre nach der Wende stellt der Bundespolizeibeamte einen Antrag, um Einsicht in seine Stasiakte zu erhalten. Gunther Bohle, der auf alles gefasst ist, atmet auf: In den Schriftstücken ist nur seine „Grenzverletzung“ akribisch dargestellt – darüber hinaus findet sich über ihn kein Eintrag. (Stefanie Harth) +++