Vier Kreise als "Überzeugungstäter": Optionskommunen vermitteln effektiver

Von links: Dr. Karsten McGovern (Bündnis 90/Die Grünen, Erster Kreisbeigeordneter im Landkreis Marburg-Biedenkopf), Bernd Woide (CDU, Landrat im Landkreis Fulda), Christa Bittner (SPD, Erste Kreisbeigeordnete im Landkreis Hersfeld-Rotenburg) und Rudolf Marx (CDU, Landrat im Vogelsbergkreis) bei der Pressekonferenz nach der Fachtagung.
Foto: Pressestelle Vogelsbergkreis

13.03.2008 / Region - Mit einer gemeinsamen Resolution von 33 Landräten und hauptamtlichen Dezernenten wehren sich die hessischen Kreise gegen die Absicht des Bundesarbeitsministeriums, flächendeckend sogenannte kooperative Jobcenter zur Vermittlung von Langzeitarbeitslosen einzurichten. Die Forderung zum Stopp dieser Pläne der Bundesregierung wurde heute gemeinsam nach einer Fachtagung im Fuldaer Kolpinghaus vorgestellt. Die Unterzeichner der Resolution stammen aus CDU, SPD, Liberalen und Grünen - bilden also einen Konsens über die Parteizugehörigkeit hinweg. Die vier Landkreise, Fulda, Marburg-Biedenkopf, Hersfeld Rotenburg und der Vogelsbergkreis, die die Fachtagung organisiert hatten, sind Optionskommunen. Sie setzen sich für deren Erhalt ein, weil bei der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen auf kommunaler Ebene wesentlich bessere Chancen bestünden als bei einer zentralen überregionalen Verwaltungsstruktur. Unter dem Titel "Arbeitsmarktpolitik am Scheideweg - Lokal geht mehr!" standen Erfahrungen, Potenziale und Perspektiven der lokalen Arbeitsmarktpolitik im Mittelpunkt der Diskussion. Internationale Erfahrungen und Konzepte wurden dabei ebenfalls beleuchtet. Auch in Zukunft sollen kommunale Erfahrungen und Fähigkeiten eine wesentliche Rolle in der Arbeitsmarktpolitik spielen. "Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der Arbeitsgemeinschaften bietet sich jetzt der Politik die große Chance, die Aufgaben neu zu ordnen und konsequent auf lokale Steuerung und Verantwortung zu setzen", betonte der Erste Kreisbeigeordnete des Landkreises Marburg-Biedenkopf, Dr. Karsten McGovern(Grüne). Konsequent auf lokale Steuerung und Verantwortung der Kommunen setzen! Die Landräte der hessischen Landkreise sind sich einig: Die kommunale Einflussnahme ist entscheidend für eine regional wirksame Arbeitsmarktpolitik. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Dezember 2007 sind die bundesweit 353 Arbeitsgemeinschaften zwischen der kommunalen Verwaltung und den Agenturen für Arbeit zur Betreuung langzeitarbeitsloser Menschen verfassungswidrig. Unter dem Motto "Arbeitsmarktpolitik am Scheideweg - Lokal geht mehr!" stand nun die zukünftige Ausgestaltung der Grundsicherung für Arbeitssuchende im Mittelpunkt der Fachtagung. Dabei wurden insbesondere die Erfahrungen und Potenziale der 69 Optionskommunen, die bereits seit Beginn der Arbeitsmarktreform 2005 die Betreuung langzeitarbeitsloser Menschen in alleiniger kommunaler Verantwortung übernommen hatten, berücksichtigt. Bernd Woide, Landrat des Landkreises Fulda, begrüßte als Gastgeber die Teilnehmer. "Wir wollen als Kommune bei der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen nicht am Katzentisch sitzen, sondern Verantwortung übernehmen", sagte Woide. "Wir können so Arbeitssuchenden wesentlich schneller und auch zielgerichteter helfen", erklärte Robert Fischbach, Landrat des Landkreises Marburg-Biedenkopf und Vizepräsident des hessischen Landkreistages. "Mit der vor Ort vorhandenen Kompetenz kann viel besser auf die Bedürfnisse der Langzeitarbeitslosen und der Arbeitgeber eingegangen werden". Rudolf Marx, Landrat des Vogelsbergkreises, zeigte sich davon überzeugt, dass die Aufgaben der Vermittlung in der Region am besten aufgehoben sei. "Wir sind flexibler und kennen die Strukturen vor Ort", erklärte Marx. Christa Bittner, Erste Kreisbeigeordnete des Landkreises Hersfeld-Rotenburg, verwies auf bestehende regionale Netzwerke und die Schnittstellen zur Jugendhilfe und anderen sozialintegrativen Leistungen. "So können wir uns nicht nur um die einzelne Personen, sondern auch um ihr Umfeld kümmern", betonte Christa Büttner. Gerd Krämer, Staatssekretär im Hessischen Sozialministerium, bezeichnete in Fulda die getrennte Aufgabenwahrnehmung als Notlösung. "Wenn es auf dem Arbeitsmarkt stürmisch wird, ist die getrennte Aufgabenwahrnehmung nicht das Idealmodell", betonte Krämer. Auf dem Programm der Tagung standen Vorträge zu den Themen "Perspektiven der Zusammenarbeit von Kommunen und Agenturen für Arbeit in kooperativen Jobcentern", "Arbeitsmarktpolitische Modelle im europäischen Vergleich", "Dezentralisierung der Arbeitsmarktpolitik in den Niederlanden. Erfahrungen und Perspektiven", "SGB II dauerhaft sachgerecht und zukunftsorientiert organisieren", sowie ein Meinungsaustausch über die Folgen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Referenten waren Professor Adalbert Evers (Universität Gießen), Peter Dubowy (Geschäftsführer der Lahn-Dill-Arbeit, Wetzlar), Kees Mosselmann (Arbeitsgemeinschaft der Sozialdirektoren in den Niederlanden), Markus Keller (Referent beim Deutschen Landkreistag, Berlin) und Dr. Karsten McGovern (Erster Kreisbeigeordneter des Landkreises Marburg-Biedenkopf). Die Resolution im Wortlaut: "Hilfen aus einer Hand mit kommunaler Verankerung Grundsätzliche Lösungen statt getrennter Zuständigkeiten bzw. kooperative Jobcenter Das Prinzip Hilfen aus einer Hand darf nicht aufgegeben werden. Kooperatives Jobcenter ist keine Alternative. Keine untergesetzliche Regelungen, die kommunale Lösungen später verhindern. Entscheidungen des Gesetzgebers sind gefragt, die eine kommunale Verankerung sichern. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 20.12.2007 die nach § 44b zur einheitlichen Wahrnehmung der Aufgaben eingerichteten Arbeitsgemeinschaften wegen der Mischverwaltung als verfassungswidrig erklärt. Bis zum 31.12.2010 kann die Arbeit, um einen noch schlimmeren ungeregelten Zustand zu vermeiden, fortgesetzt werden. Der Bundesgesetzgeber muss daher eine Entscheidung darüber treffen, wie die Aufgabenträgerschaft bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende künftig organisiert werden soll. Für diese anstehende Neuregelung sollten folgende Aspekte beachtet werden: 1. Bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) muss das Prinzip „Hilfen aus einer Hand“ beibehalten werden. Nur die Zusammenführung und Verbindung von arbeitsmarktpolitischen, sozialintegrativen und finanziellen Leistungen sichern den Erfolg in der Integration langzeitarbeitsloser Menschen in den Arbeitsmarkt, bei der Integration Jugendlicher in Ausbildung und der sozialen Stabilisierung der Betroffenen. Auch die Erfahrung im Umgang mit schwierigen Zielgruppen ist eine kommunale Stärke. Die kommunale Verankerung ist daher ein wichtiger Erfolgsfaktor. 2. Das vom BMAS in die Diskussion gebrachte Modell des sog. „Kooperativen Jobcenters“ ist deshalb keine Alternative. „Unter einem Dach“ und „aus einer Hand“ sind unterschiedliche Qualitäten bei der Erbringung komplexer Leistungen. Das „Kooperative Jobcenter“ ist im Kern nichts anderes als die getrennte Trägerschaft, deren ersichtliche Kooperationsdefizite und Koordinationsnachteile durch eine suggestive Namensgebung nicht ausgeglichen werden können. So gibt es einen „Kooperationsausschuss“, in dem Absprachen getroffen „werden können“, ein faktischer Einigungszwang aber nicht besteht. Das Entscheidungsrecht liegt alleine bei der Bundesagentur für Arbeit, deren Steuerungsinteressen sich die Kommunen unterordnen müssen. Der Kerngedanke des SGB II, Entbürokratisierung und Abschaffung ineffizienter Doppelstrukturen, wird durch den entstehenden Koordinationsaufwand unterschiedlicher Zuständigkeiten konterkariert. Das BVerfG hat an mehreren Stellen seiner Entscheidung das Sachziel der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ausdrücklich als richtig bezeichnet. Und nicht ohne Grund war die getrennte Trägerschaft bei der Einführung des SGB II das am wenigsten favorisierte Modell. 3. Das BVerfG hat, der Bedeutung der Sachfrage Rechnung tragend, dem Gesetzgeber drei Jahre für eine Neuregelung gelassen. Eine untergesetzliche Weichenstellung, die, wie die getrennte Trägerschaft, dafür sorgt, dass später eine kommunale Alternative fast ausgeschlossen ist, darf nicht erfolgen. Der Gesetzgeber ist gefragt, ob es eine Bundeslösung über die Bundesagentur für Arbeit oder eine Landesregelung mit der Möglichkeit einer kommunalen Trägerschaft gibt. Die Verantwortung tragenden Fraktionen im Bundestag müssen sich auf ein klares zeitliches Ziel verständigen, um die Übergangsphase gut gestalten zu können. 4. Bei allen Entscheidungen dürfen die fiskalischen Auswirkungen nicht zu Lasten der Kommunen gehen. 5. Die Arbeitsgemeinschaften und die Optionskommunen haben bewiesen, dass eine dezentrale Struktur mit kommunaler Verankerung arbeitsfähig ist und gute Ergebnisse bei der sozialen und arbeitsmarktpolitischen Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitssuchende bringt. Unterzeichnet durch: Erster Kreisbeigeordneter Dr. Wolfgang Müsse Hochtaunuskreis Kreisbeigeordneter Günther Kaufmann-Ohl Lahn-Dill-Kreis Landrat Matthias Willkes Erster Kreisbeigeordneter Thomas Metz Landkreis Bergstraße Landrat Alfred Jakoubek Erster Kreisbeigeordneter Klaus-Peter Schellhaas Landkreis Darmstadt-Dieburg Landrat Bernd Woide Landkreis Fulda Erster Kreisbeigeordneter Stefan Becker Landkreis Gießen Landrat Enno Siehr Landkreis Groß-Gerau Landrat Karl-Ernst Schmidt Erste Kreisbeigeordnete Christa Bittner Landkreis Hersfeld-Rotenburg Landrat Manfred Michel Landkreis Limburg-Weilburg Landrat Robert Fischbach Erster Kreisbeigeordneter Dr. Karsten McGovern Landkreis Marburg-Biedenkopf Landrat Frank-Martin Neupärtl Landkreis Schwalm-Eder Landrat Peter Walter Kreisbeigeordneter Carsten Müller Landkreis Offenbach Erster Kreisbeigeordneter Peter Niederstraßer Landkreis Waldeck-Frankenberg Landrat Erich Pipa Main-Kinzig-Kreis Erster Kreisbeigeordneter Hans-Jürgen Hielscher Main-Taunus-Kreis Landrat Horst Schnur Erster Kreisbeigeordneter Dietrich Kübler Kreisbeigeordneter Michael Vetter Odenwaldkreis Stadtkämmerer Dr. Jürgen Barthel Stadt Kassel Stadträtin Birgit Simon Stadt Offenbach Stadtrat Arno Goßmann Stadt Wiesbaden Landrat Burkhard Albers Rheingau-Taunus-Kreis Landrat Rudolf Marx Vogelsbergkreis Landrat Stefan G. Reuß Werra-Meißner Kreis Kreisbeigeordneter Ottmar Lich Wetteraukreis Stadtrat und Sozialdezernent Jochen Partsch Wissenschaftsstadt Darmstadt Landrat Udo Recktenwald Landkreis St. Wendel Landrat Dr. Werner Henning Landkreis Eichsfeld+++

Hier spricht der Vizepräsident des Hessischen Landkreistages, Landrat Robert Fischbach zu den Teilnehmern der Fachtagung im Kolpinghaus\r\n



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