Festspiel-Gespräch mit Iréna Flury

Starke Frau in einer starken Rolle: "Lotte ist wie ein Wasserfall"

Iréna Flury, die Lotte in der diesjährigen "Goethe!"-Inszenierung, erzählt im O|N-Gespräch von Bühne, Familie, Freizeit und ihrem Engagement bei den Bad Hersfelder Festspielen
Foto: Christopher Göbel

15.08.2022 / BAD HERSFELD - Dass Iréna Flury einen künstlerischen Beruf ergreifen würde, war ihr relativ bald klar. Die "Lotte" in der diesjährigen Inzenierung des Musicals "Goethe!" hatte schon als Kind viel mit dem Thema Musik und Theater zu tun, wie sie im OSTHESSEN|NEWS-Gespräch verrät.



"Mein Vater war Solo-Flötist und Geschäftsführer bei den Wiener Philharmonikern", erzählt Iréna Flury. Als er das Angebot aus der österreichischen Hauptstadt bekam, zog die Familie aus der Schweiz um. "Meine Eltern dachten sich, dass man das für eine Anstellung bei den Wiener Philharmonikern schon tun könne", lacht die sympathische Darstellerin. Deshalb ist sie in Wien aufgewachsen und zur Schule gegangen. "Der Berufswunsch Musik war naheliegend." Sie lernte Geige spielen und liebte das Musiktheater. "Ich habe in meinem Kinderzimmer Opern nachgespielt", erinnert Iréna sich.

Mit 15 Jahren kam die Begeisterung für Film und Schauspiel hinzu. Sie habe sich viel mit Theaterstücken auseinandergesetzt und nach der Schule an der Musik- und Kunst-Privatuniversität Wien studiert und mit Diplom und Auszeichnung bestanden. "Musical ist in Wien immer noch eine Art ,Zirkuspferdchen'", sagt sie. Nach Engagements bei Filmproduktionen und im Sprechtheater hat sich Iréna aber in den vergangenen Jahren hauptsächlich diesem Genre zugewandt. "Musical ist mein authentischster Ausdruck."  

Philipp Büttner kennt sie schon lange

Bei einer Produktion von "West Side Story" in Magdeburg im Jahr 2016 lernte sie den "Goethe!"-Regisseur Gil Mehmert kennen. Ihren Bad Hersfelder Spielpartner Philipp Büttner kennt sie seit einer Inszenierung von "Romeo und Julia" im Jahr 2015. "Er war damals Tybalt, ich die Julia. Wir hatten eigentlich nicht viel miteinander zu tun." Als dann Büttner aber kurzfristig als "Tony" in der Magdeburger "West Side Story" einsprang, dachte sie sich: "Was für eine Stimme!"

Eigentlich sollte sie schon bei der Uraufführung im vergangenen Jahr für die "Lotte" in Bad Hersfeld vorsingen. "Damals war ich aber noch in anderen Umständen und musste absagen", so Iréna. Als klar war, dass Abla Alaoui die Rolle in diesem Jahr nicht würde übernehmen können, fragte Mehmert bei ihr an: "Bist du schon bühnenreif?", habe er gefragt. Sie habe kurz überlegt, wie sich ein Engagement bei den Bad Hersfelder Festspielen mit einem einjährigen Kind gestalten könne - und dann zugesagt. "Seitdem habe ich mit einem Video der Inszenierung zuhause geübt", erzählt sie. Ihr Sohn Theodor, meist Teddy genannt, hat so in seinen ersten Monaten schon einiges von den Musicalmelodien kennengelernt. "Wenn Philipp im Video sang, war er immer ganz begeistert", lacht die Darstellerin. "Auch bei Abla, aber da habe ich ja immer drübergesungen."

Familie Flury ist in Bad Hersfeld vereint

Während ihrer Zeit in Bad Hersfeld ist ihr amerikanischer Ehemann Maximilian stets dabei und kümmert sich um Teddy, wenn Proben oder Aufführungen angesagt sind. "Die Beiden sind fast jeden Tag im Freibad", erzählt sie. Dem Bad Hersfelder Publikum stellte sie Teddy in der Matinee bereits vor. "Er hat noch keine Aufführung gesehen, aber es würde mir auch nichts ausmachen, ihn dabei zu haben", sagt sie.

"Als ich nach Bad Hersfeld kam, wusste ich durch das Video schon, wie die Inszenierung angelegt war", erzählt Iréna. Ihre Aufgabe sei es dann gewesen, die Geschichte mit ihrer Persönlichkeit zu füllen. Aber: "Abla hat das supertoll gemacht", schwärmt sie. "Ich wollte herausfinden, was inhaltlich-psychologisch mit Lotte passiert." Sie selbst sieht keine Überschneidungen ihrer Gefühlswelt mit der von Charlotte Buff. "Zum Glück!", sagt sie. Denn einen Mann heiraten zu müssen und nicht der wahren Liebe folgen zu können, sei heute in der westlichen Gesellschaft kein Thema mehr. "Es gib allerdings Länder, wo das leider noch so ist", sagt Iréna.

"Pure weibliche Energie"

"Lotte ist pure weibliche Energie, sehr fließend und immer in Bewegung", so Iréna. "Sie ist wie ein Wasserfall und versucht, das System nach ihren Möglichkeiten und auf ihre weibliche, direkte Art auf den Kopf zu stellen". Eine Verbindung gibt es allerdings doch: Lotte als Ersatzmutter ihrer Geschwister kann Iréna mit ihrem eigenen Muttersein nachfühlen. "In einer Probe hatte ich tatsächlich meinen Teddy statt der Babypuppe im Arm", erzählt sie.

Ihr Vater schenkte ihr als Rollenvorbereitung das Buch "Lotte in Weimar" von Thomas Mann. "Als ich ihm sagte, dass ich es tatsächlich lese, war er sehr verwundert", schmunzelt Iréna. "Ich habe mich da tatsächlich durchgequält." Leichter sei es ihr gefallen, den Briefroman "Liebe Lotte" von Vivian Kim zu lesen, der einen fiktiven Briefwechsel von Lotte mit einer Freundin zum Inhalt hat. Und auch mit der historischen Figur Charlotte Buff hat sich Iréna auseinandergesetzt. "Ich finde es spannend, dass sie mit Albert so viele Kinder bekommen hat. Ich vermute, dass die echte Charlotte eine Frau war, die flexibel blieb", so Iréna.

Persönlicher Ausdruck auf der Festspielbühne

Bei der Inszenierung habe Gil Mehmert ihr und den anderen Akteur:innen viel Freiraum gelassen. "Wir hatten denselben Geschmack, was die Spielart betrifft". "Ich kann gar nicht sagen, was ich anders als Abla mache", so Iréna. "Aber wir bringen beide einen großen Teil von uns in die Rolle ein." Die Individualität komme durch den persönlichen Ausdruck. Die Arbeit mit dem Musikalischen Leiter Christoph Wohlleben sei auch sehr angenehm gewesen. "Er hat in Wien studiert. Wenn wir miteinander sprechen, falle ich ganz besonders in den Wiener Slang", lacht sie.

Sie ist froh, dass die Inszenierung aus dem vergangenen Jahr bereits stand, als sie zu den Proben nach Bad Hersfeld kam. "Das solide Gerüst war fertig und ich konnte mich dann ausprobieren", erzählt die sympathische Darstellerin. Großen Respekt hat sie für das Tanzensemble, das fast durchgehend auf der Bühne ist. "Es ist mehr als verdient, dass die Tänzer:innen den Großen Hersfeldpreis bekommen haben." Auch wegen der Umbesetzungen, die krankheitsbedingt während der bisherigen Spielzeit gemeistert werden mussten, sei es bewundernswert, was die Tänzer:innen leisten. Die Zusammenarbeit mit dem gesamten "Goethe!"-Ensemble sei "wundervoll".

Joggen, Yoga und Radfahren

Wenn Sie gerade nicht auf der Bühne steht, ist Sport eine Art Ausgleich zum Beruf. "Meine Schwiegereltern haben uns einen Jogging-Kinderwagen geschenkt. Damit sind wir viel in den Wäldern um Bad Hersfeld unterwegs", erzählt Iréna. Auch die Strecken von und zur Stiftsruine bewältigt sie - trotz der zahlreichen Bad Hersfelder Steigungen - mit dem Fahrrad. "Die Zeit, in der ich nach einer Aufführung nach Hause radele, habe ich ganz für mich."

"Nach den Festspielen in Bad Hersfeld? Mal schauen, wie es beruflich weitergeht", sagt Iréna Flury. "Mein Mann und ich sind Meister der rollenden Planung", lacht sie. Erstmal fahren sie in ihren Teil-Wohnort Wien zurück, und im Winter geht es in die USA. Nach Bad Hersfeld würde sie gerne wiederkommen. "Man trifft hier so viele spannende und interessante Leute", sagt sie. Eine wirkliche Traumrolle hat sie nicht: "Ich übernehme gerne etwas, was mich aus meiner Komfortzone herausholt und was mich herausfordert", sagt sie. Und eigentlich mag sie Rollen, "in denen sich nicht alles um einen Mann dreht". Die Hauptrolle der "Jenna" im Musical "Waitress" würde sie reizen. "Jenna verfolgt ihren Weg abseits eines Mannes", sagt Iréna.

Doch zunächst kann man Iréna Flury noch bis zum 27. August als Lotte in "Goethe!" bewundern. Karten gibt es noch über die Website der Bad Hersfelder Festspiele. "Es macht soviel Spaß, ,Goethe!' hier in Bad Hersfeld zu spielen", sagt Iréna. In der Abschluss-Gala am 28. August tritt sie dann mit Philipp Büttner gemeinsam auf. "Dass wir auch Songs aus ,West Side Story' singen, ist schon ein bisschen nostalgisch", freut sich Iréna Flury. (Christopher Göbel) +++

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