Nach dem "People's Justice"-Skandal

Was darf die Kunst? - Ein Kommentar zur documenta-Debatte

Ein Kommentar zur documenta fifteen
Foto: Christopher Göbel

25.06.2022 / KASSEL - Dass das offensichtlich antisemitische Werk "Peoples's Justice" zuerst verhängt und kurz darauf komplett von der documenta verbannt wurde, ist vernünftig. In einem Land, in dem der Antisemitismus einst seine schlimmste Form zeigte, darf solch ein Werk nicht gezeigt werden. Auch nicht, wenn in Indonesien eine andere Sicht der Dinge herrschen sollte.



Dass manche Menschen nun den Rücktritt der documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann fordern, halte ich indes für übertrieben. Sie ist zwar die Chefin, aber jedes der tausende Kunstwerke, vor allem der zahlreichen "Wimmelbilder" komplett zu überprüfen, dürfte eine kaum zu schaffende Aufgabe sein. Auch ist es aus meiner Sicht nicht die Aufgabe der Leitung, Kunstwerke auf deren politische Korrektheit zu prüfen – und im Falle des Fehlens derselben das Werk vorab zu verbannen. Das wäre tatsächlich Zensur. Diese wäre unerträglich für die Kunstschaffenden.

Was ich aber befürworte, ist, sich mit Kunst auseinanderzusetzen und auch einen Fehler einzugestehen, wenn er denn passiert ist. Es gibt auch Forderungen, die documenta fifteen wegen des "Antisemitismus-Skandals" komplett zu schließen. Auch dies halte ich für überzogen. Hunderte Künstler haben Werke für diese Ausstellung geschaffen. Sie kollektiv zu bestrafen, wäre unverhältnismäßig und ungerechtfertigt. Sie haben das Recht, ihre Kunst weiter zu präsentieren.

Man mag von der modernen Kunst halten, was man will. Es bleibt jedem selbst überlassen, wie er oder sie Kunst auf sich wirken lässt, sie im Vorbeigehen zu betrachten oder sich intensiv mit den kleinsten Details zu beschäftigen. Kunst kann und darf aber auch provozieren. Zum Nachdenken und Diskutieren anregen. Was sie aus meiner Sicht nicht tun sollte, ist, bestimmte ethnische Gruppen oder Nationalitäten zu verunglimpfen. Das ist bei "People's Justice" aber passiert.

Ich stelle mir die Frage, was die Mehrheit gesagt hätte, wäre darauf nicht ein Mossad-Soldat mit Judenstern und Schweinsgesicht zu sehen gewesen, sondern beispielsweise ein russischer Soldat mit Hammer und Sichel, rotem Stern und besagtem Schweinsgesicht. Wäre der Aufschrei weniger laut gewesen? Ich vermag es nicht zu sagen. (Christopher Göbel)+++


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